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„Die Erde ist ein Stern. Wir leben im Himmel.“ Eine Annäherung an den Fragmentariker Hans Jürgen von der Wense

Hans Jürgen von der Wense (1894 – 1966) hat komponiert, geschrieben und übersetzt. Er war dazu Meteorologe, interessiert an Geologe und Astronomie, ein nimmermüder Wanderer und ein Verzettelungsgenie. Von Janko Hanushevsky

„Man weiß nie genau, welchen Wense man betonen soll. Schon der Versuch, Wense zu bestimmen, heißt seine Flüchtigkeit zu bestimmen“, sagt der Literaturwissenschaftler Reiner Niehoff. „Der Sinn in mir heißt Wandlung. Wandlung ist Treue“ antwortet Hans Jürgen von der Wense auf einer der 60.000 Manuskriptseiten, die er nach seinem Tod hinterlässt. Veröffentlicht hat er zeitlebens davon nur fünf.

Als der Erste Weltkrieg 1918 zu Ende war, wühlte Wense als ganz junger Komponist mit radikalen Gesten die Berliner Musikszene auf. Sein Name wurde schon in einem Atemzug genannt mit Satie, Prokofjew, Schönberg und Strawinsky. Doch in dem Moment, wo Anerkennung und Erfolg zum Greifen nahe waren, zog er sich an die Ostsee zurück, um den „Opern und Akten des Wetters“ zu lauschen, den „Oratorien der Luft“.Arnold Schönbergs Zwölf-Ton-Musik ließ Wense hinter sich und machte sich stattdessen auf die Suche nach der Ein-Ton-Musik in der Natur: „Ich lege meine Ohren an einen Halm. Dann gibt es einen Ton. Wir sitzen ganz still. Wir hören auf den Wind.“

Später wird er Schriften aus über 100 Sprachen übersetzen, einen Erdbebenkatalog verfassen, die Sterne und das Wetter studieren und systematisch einen kleinen Raum um Kassel abwandern. Alles, was er sieht, wird dokumentiert und in Mappen sortiert. Bis zu seinem Tod arbeitet er unermüdlich an einem weltumspannenden Zettelwerk. Als er 1966 völlig verarmt stirbt, hat die Welt Hans Jürgen von der Wense längst vergessen.



„Die Erde ist ein Stern. Wir leben im Himmel.“

Eine Annäherung an den Fragmentariker Hans Jürgen von der Wense

Von: Janko Hanushevsky
Redaktion: Imke Wallefeld
Produktion: WDR 2021

© WDR 3, Kulturfeature, 14.3.2021

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