Musiktipps

„Die mit den Lemmingen tanzte“ Ingeborg Schober – Pionierin des Popjournalismus

Hippie-Mädchen mit vollem Notizblock: Ingeborg Schober schrieb über Pop mit Begeisterung und genau. Eine Anthologie erlaubt ihre Wiederentdeckung. Von Julia Lorenz

Da passte der Portier einen Moment lang nicht auf. Eine Sekunde der Unachtsamkeit, und schon hatte Ingeborg Schober, die Frau, die der Münchner Hotelmitarbeiter für ein Groupie hielt, einen Blick auf die Telefonliste des Hauses erhascht. Wenig später klopfte sie an die Tür der US-Musiker Stephen Stills und Chris Hillman.

Anders, als der Portier annahm, war Ingeborg Schober kein Groupie, sondern Journalistin. 1972 sollte sie Stills und Hillman, die damals gerade die Band Manassas gegründet hatten, fürs Feuilleton der Süddeutschen Zeitung interviewen. Zum vereinbarten Termin aber steht sie vor verschlossenen Türen: Offensichtlich wurde die Pressekonferenz abgesagt, ohne ihr Bescheid zu geben. Schober irrt durch die Stadt, telefoniert ihre Kontakte ab, wird von einem windigen Promoter erst aufs Oktoberfest ein- und dann wieder ausgeladen, um Manassas dort zu sprechen….

…Schober war ein Fan – aber ein unbestechlicher. Als sie nach der eingangs beschriebenen Suche Stephen Stills und Chris Hillman endlich sprechen kann, gibt sie den beiden freundlich zu verstehen, dass sie ihr letztes Konzert ziemlich vergurkt haben.

Trotz dieser Verdienste, trotz ihrer Biografien über Janis Joplin und Jim Morrison erging es Schober wie vielen Frauen, die sich früh im Musikjournalismus behauptet haben – etwa Ellen Willis in den USA und Lilian Roxon in England: Allen, die mit ihren Artikeln und Radiosendungen aufgewachsen sind, ist sie unvergessen, der breiten Masse hingegen kaum bekannt. Ihre (Wieder-)Entdeckung wäre überfällig. Schließlich hätten Portiers Journalistinnen, die in Hotel-Lobbys auf Musiker warten, ohne Ingeborg Schober vielleicht noch länger für Groupies gehalten.



Ingeborg Schober: „Die Zukunft war gestern“, Hrsg. von Gabriele Werth, Verlag Andreas Reiffer, Braunschweig 2021, Hardcover, 400 Seiten, 24 Euro

© TAZ, Kultur, 15.7.2021

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