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Hörspiel: „Ich nannte ihn Krawatte“ Teil 3, 4 und 5 von Milena Michiko Flašar

Hikikomori, das sind Menschen, die sich freiwillig von der Gesellschaft abschütten. Und so ein Hikikomori war auch der junge Hiro, bis vor Kurzem. Bis er beschloss, einen Park aufzusuchen, und dort den einen Mann in Anzug und Krawatte traf. Tag für Tag.

Hiros Kindheit war früh zu Ende. Er wusste, wie und wovor er sich verstecken wollte und konnte. Und bald fand er heraus, dass das Hikikomori-Dasein eine Maske war, die Schutz bot. Und auch wenn er nun in den Park geht, hat er noch immer Angst vor der Welt.

Und dann regnet es. Der Aufenthalt im Park ist unmöglich. Hiro hat von Ohara die Adresse des Jazz-Cafés «Miles to Go» bekommen. Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen, geht hin, x-mal daran vorbei und traut sich schliesslich hinein. Im Halbdunkel der Bar wartet Ohara schon und erzählt, wie er vor Jahren seine Frau Kyoko kennenlernte, wie sie sich verliebten und sich den Himmel in Form ihres Ehe-Alltags versprachen. Hiro erzählt von dem ähnlich feierlichen Einverständnis mit Yuriko, seiner Kindheitsfreundin. Gegen alle nachbarschaftlichen Vorurteile.


Nach mehreren Tagen im schummrigen Jazz-Café, mit langen Erzählungen über die verlorene Yukiko treffen sich Hiro und Ohara im Park wieder. Hiro hat eine Nacht im Freien hinter sich und grosse Zweifel, ob Ohara wirklich das richtige Gegenüber ist für all die Geständnisse.

Doch dann berichtet Ohara, wie er die Nacht verbracht hat. Nachdenkend über Yukiko und die betörende Möglichkeit der Wiedergeburt. Wie schön wäre es, wenn man geliebte Verstorbene wieder treffen und wieder erkennen könnte. Ohara erzählt von seinem Klavierlehrer Watanabe-Sensei, der mit seiner lungenkranken Frau auf einem Hügel über der Stadt lebte. Watanabe-Sensei erleichterte seiner Frau das Sterben, indem er ihren furchtbaren Husten auf dem Klavier begleitete. Ohara erzählt endlich auch von seinem Sohn. Der ersehnte kleine Tsuyoshi kam schwerbehindert mit einem schlimmen Herzfehler zur Welt.


Alleingelassen denkt Hiro nach. Er erkennt, dass auch viele andere, sein Vater zum Beispiel, Nöte und Ängste hinter einer glatten Stirn verbergen müssen. Diese Erkenntnis ist das Ende seines Hikikomori-Daseins.

Wochenlang wartet Hiro. Nur Oharas Krawatte ist ihm geblieben, die er beim letzten Abschied zurückgelassen hat. Dann beginnt die Regenzeit. Hiro sucht Ohara im Jazz-Café. Und dann gräbt er die Visitenkarte seines Freundes aus, liest seine private Adresse. Kyokos Welt.

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„Ich nannte ihn Krawatte“ von Milena Michiko Flašar

Mit: Stefan Roschy (Hiro) und Hanspeter Müller-Drossaart (Ohara)

Tontechnik: Mirjam Emmenegger und Ueli Karlen

Bearbeitung und Regie: Margret Nonhoff

© SRF 2, Hörspiel, Juli/August 2019

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