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„Im Netz der Spinnenfrau“ oder 10 Versuche über den NSU Von Clemens Meyer

„Der NSU inszenierte nicht. Er schuf keine Bühne. Terror ohne Angst. Kleinbürgerliche sich selbst befriedigende Zelle in einem so genannten Untergrund. Pure faschistische, dumpfe Bosheit…“ Clemens Meyer

Um das Jahr 2055 besucht ein ehemaliger Journalist eine ehemalige Rechtsterroristin im Altenpflegeheim „Martin Andersen Nexö“. Er ist fast genauso alt wie sie, in seiner Jugend hätten sich ihre Wege kreuzen können.

Bevor er ihr Zimmer betritt, schreitet er durch die langen Gänge seiner Erinnerungen: das Gift der Neonazis im Osten, die rechte Zeitschrift Compact, verlegt in der Stadt L, in der sich das Altenpflegeheim „Martin Andersen Nexö“ befindet, rassistische Überfälle in der DDR der späten 80er-Jahre, der Griff der westdeutschen Nazis nach dem Osten, das sächsische Land, in dem Wolfsspinnen hausten, ohne Netze, aber immer auf der Jagd, sozialistisches Liedgut seiner Kindheit …, die Gefängnisse mit und ohne Jean Genet …

Und als der ehemalige Journalist dann endlich das Zimmer der ehemaligen Rechtsterroristin betritt, ist er gefangen im Netz der Spinnenfrau, in ihren Geschichten, Lügen, Legenden und Rechtfertigungen, die auch seine eigenen Geschichten sind.

Der Leipziger Autor mit einem Text, der sich bewegt zwischen essayistischem und belletristischem Erzählen, Reflexionen und Projektionen, Chronik und Mythos.

 

 

© SWR 2, Essay, 22.1.2018

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