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„Schockierende Töne“ von Enno Poppe Von Margarete Zander

Schockierende Töne findet man weniger in seiner Musik als in dem, was er sagt. Wer hätte vermutet, dass der erfolgreiche Komponist, der sich seit Jahren an Algorithmen abarbeitet und mit Themen wie Wald, Salz, Altbau und Brot den Blick auf die Substanz ins Zentrum rückt, im Beethoven-Jahr bekennt: “Ich glaube, mein ganzes Leben ist eine tiefere kompositorische Auseinandersetzung mit Beethoven!“ Wir fragen nach und stellen unter anderem sein Violinkonzert vor.

Intellektuell, fordernd, erfindungsreich – all das trifft auf Enno Poppe zu. Aber der Schlüssel zu allem liegt in der Leidenschaft, erzählt der Komponist: „Ja, das Wort ‚Leidenschaft‘ ist sehr wichtig, denn es hört sich ja oft so an, wenn man als Komponist über Stücke redet, als sei das alles sehr technisch und als würde man irgendwie analytisch vorgehen. Tatsache ist, dass das sehr leidenschaftlich ist. Die Ausdrucksqualität der Musik ist ja das Entscheidende!“ Poppe gerät ins Schwärmen, wenn er von der Wirkung der Musik spricht und von den Möglichkeiten erzählt, die ihm die Instrumente bieten.

Schlagzeugkonzert „Schrauben“: Mit 160 Instrumenten in der Elbphilharmonie

So konnte er sich für sein Auftragswerk für den NDR für 13 Schlagzeuger im Depot des Ensemble Musikfabrik bedienen – für ihn „die schönste Instrumentensammlung der Welt“. In seinem Schlagzeugkonzert „Schrauben“ standen dann mehr als 160 Instrumente wie in einer Choreographie verteilt auf der Bühne der Elbphilharmonie. Ein eindrucksvolles Bild. Die optische Faszination stellt sich von selbst ein, meint Enno Poppe, die musikalische Wirkung entwickelt er durch seine Klangregie. Das ganze Stück kann er auf einer Din A4 Seite auf kariertem Papier skizzieren, und daraus hat er sämtliche Ableitungen entwickelt. Und dann hofft er auf die Lust der Musiker, die bis in die Mikrotonalität hinein verästelten Grundideen auszugestalten. Eine schöne Überraschung für den Komponisten war die Stelle mit den Glöckchen. Die Schlagzeuger hatten zehn Kisten mit Glöckchen herangeschleppt und suchten so lange, bis sie musikalisch nicht mehr den Eindruck einer romantischen Schlittenfahrt weckten, sondern bis sich die Vorstellung von einem musikalischen Rauschen einstellte. Wenn Enno Poppe erzählt, zeichnen sich im Laufe des Hörens die Klanggebilde immer deutlicher ab.

Violinkonzert „Schnur“ für das Beethovenfest Bonn

Im Anschluss daran führen seine Kommentare zum Violinkonzert „Schnur“ den Hörer direkt in den schmalen glühenden Lavastrom der Geigenstimme, der das Orchester in ein Licht taucht, das in sanften Wellen die Farben wechselt. Enno Poppe hat das Violinkonzert im Auftrag des Beethovenfestes Bonn 2019 komponiert. Beethoven ist für ihn nicht erst ein Thema zum diesjährigen 250. Geburtstag des Komponisten: „Beethoven ist ganz klar immer dabei: Das ist einer der wichtigsten Komponisten für mich. Die Konsequenz und der Wunsch, in jedem Konzert etwas völlig Neues zu machen, das gab es ja in der Form vor Beethoven gar nicht. Und das finde ich nach wie vor herausragend und bewundernswert.“

Mit Geigerin Carolin Widmann auf einer Wellenlänge

Schon das erste Treffen mit Carolin Widmann zeigte, dass Komponist und Geigerin auf einer Wellenlänge miteinander arbeiten konnten: Die beiden entdeckten ihre gemeinsame heimliche Liebe zum Geiger Fritz Kreisler. „Der hatte so eine ganz spezifische Art, Vibrato zu spielen und einen leichten Bogen und deshalb bekommt das Ganze eine ungeheure Eleganz, also wirklich etwas ganz Fantastisches“, erzählt Poppe. Aus diesem Vibrato hat sich das ganze Stück entwickelt. Man ist verblüfft über den gesanglichen Tonfall, den das Konzert bekommt. Manches klingt wie bekannt, aber es ist nichts zitiert, ergänzt Poppe amüsiert. Beide Werke werden demnächst auf CDs bei wergo veröffentlicht.

Enno Poppe als Dirigent

Enno Poppe wurde 1969 in Hemer im Sauerland geboren und lebt seit seiner Studienzeit in Berlin. Er gehört zur ersten Liga der internationalen Komponisten und hat sich im Bereich der Neuen Musik auch als Dirigent einen ganz besonderen Namen gemacht. Ihm beim Dirigieren zuzusehen ist wie wenn man die Impulse und Energieströme sieht, die im Klang zusammenfließen.

© NDR Kultur, Neue Musik, 2.6.2020

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