Musiktipps

Soundexpeditionen 7/21 „Mehr Klassik bitte! ;)“ Musik von Officer!, dem Mannheimer Schlagwerk, Yoko Morimyo & Damiano Afrifa und …

Eine Hommage der Offziere an Cornelius Cardew, Minimal Music auf Schlaginstrumenten, Musik zum in-sich-kehren und das andere klingt nach Sedimentgestein. Was das alles mit Klassik zu tun. Nun, das müsst ihr selber herausfinden.

„OFFICER!“ Paragraphs and Principles
a tribute to Cornelius Cardew / Klanggalerie GG366

Officer! wurde von dem Londoner Mick Hobbs gegründet. Seine Wurzeln liegen in der Rock In Opposition-Szene der späten 70er und frühen 80er Jahre. Zunächst arbeitete er als Gitarrist bei The Work, später wurde er eng mit This Heat und deren Cold Storage Studio in Brixton verbunden und arbeitete mit Künstlern wie Family Fodder, Catherine Jauniaux oder Zeena Parkins zusammen. © Labeltext


Ich habe aus mehreren Gründen aufgehört, Musik in einem avantgardistischen Idiom zu komponieren: die Exklusivität der Avantgarde, ihre Zersplitterung, ihre Gleichgültigkeit gegenüber der realen Situation in der heutigen Welt, ihre individualistische Einstellung und ihr Klassencharakter (die anderen Merkmale sind praktisch Produkte davon).

Conrelius Cardew

Paragraphs and Principles ist das bisher ambitionierteste Album der experimentierfreudigen und eigenwilligen Popgruppe Officer! Die Band überrascht mit dieser schillernden und fast gefährlichen Sammlung von Stücken, für das glorreiche Andenken an den Komponisten Cornelius Cardew – Genosse und Meister. Obwohl sein Werk seiner Zeit entspricht, bleibt es seltsam zeitgenössisch. Es ist eine schwierige Musik – vielleicht rätselhaft, gewiss idealistisch und zweifelsohne umstritten. © Labeltext


Eröffnet mit gestrichenem Hackbrett, das an die Spike-Fiddle (erh-hu) erinnert, die in chinesischen Revolutionsliedern. Der Titel hat seine eigene Vergangenheit: ein Schlagwort von Mao aus den 40er Jahren, das während der Kulturrevolution. Auch diese Melodie hat eine Vergangenheit, sie stammt aus den späten 70er Jahren und dem Punk-Maoismus von Felix Fiedorowicz und Mick Hobbs. In seinem Mittelteil wurden damals wie heute Slogans aus der Neufassung des Great Learning von 1972 aus dem Stegreif vorgetragen (die ersten beiden stammen direkt von Mao)

Booklet


Das Zitat aus dem Booklet ist für den Titel: „Make the Past Serve the Present“. Zu jedem Titel stehen dort ausführliche Informationen. Mir gefällt der sehr freie Umgang der Musiker mit dem Material, das Ihnen Cardew bietet. Ihre Kreationen und Entwürfe. Da hemmt kein falscher Respekt die Aneignung seiner Musik und das macht für mich die Qualität dieser Veröffentlichung aus. Sie macht neugierig auf das Werk von Cardew und das ist doch das beste, was passieren kann.


MANNHEIMER SCHLAGWERK: The Numbers are Dancing –
New Works for Mallet Quartet
/ CD Solaire Records SOL1012

Das Mannheimer-Schlagwerk ist das Schlagzeug- und Percussion-Ensemble der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mannheim. Im Jahr 2020 feiert das renommierte Schlagzeugensemble Mannheimer Schlagwerk sein 25. Jubiläum. Aus diesem Anlass entwickelte Dennis Kuhn, künstlerischer Leiter des Ensembles und Komponist, eine mutige Idee: Drei einzigartige Künstler von außerhalb der klassischen Musikszene dazu einzuladen, Stücke für das Ensemble zu schreiben und diese auf ihren Jubiläumskonzerten im Mai aufzuführen.

Das Album wird neue Werke von Stephan Thelen, Nik Bärtsch, Markus Reuter, und Dennis Kuhn enthalten. Obwohl ihre Stile unterschiedlich sind, hat Kuhn ein ebenso faszinierendes wie simples Konzept entwickelt: Alle Stücke sollen für das „Mallet-Quartet“ aus zwei Marimbas und zwei Vibrafonen geschrieben werden. Jedem Komponisten steht es außerdem frei, diese Besetzung um zusätzliche Instrumente zu erweitern. Die gemeinsame Mallet-Quartet-Grundlage wird jedoch sicherstellen, dass das Album nicht wie eine Ansammlung von Percussion-Stücken klingt, sondern eigenständig und zusammenhängend. © Labeltext


Mannheimer-Schlagwerk / Foto: Frank Schindelbeck

Das meinen die 3 Komponisten zu dem Projekt:

Nik: “Mich interessiert das energetische, kinetische, meditative und soziale Potenzial der Wiederholung: die Phänomene, die wir Groove nennen. Die interessante Komplexität liegt in der Tiefe der Komposition – nicht an der Oberfläche.”

Markus: “Ich habe schon mit Dennis an meinem Stück “Sun Trance” gearbeitet. Aber dieses Stück hatte mehr eine Rockbesetzung und enthielt keine Marimbas. Das Mallet Quartet wird somit Neuland erschließen. Es wird sicherlich nicht zu sehr in Richtung Minimalmusik gehen, sondern eher in eine melodischere Richtung. Ich plane unter anderem, spezielle Spieltechniken einzusetzen, um die Legatoqualitäten stärker zu betonen. Außerdem werde ich zwei Keyboards in die Besetzung einbauen.”

Stephan: “Ich habe Dennis und das Mannheimer Schlagwerk 2016 über Facebook und Markus Reuter kennengelernt. Am Ende habe ich dann zwei Stücke für das Ensemble geschrieben. Das Mallet Quartet ist in vielerlei Hinsicht absolut ideal für mich. Schon allein deshalb, weil meine Musik einen starken (poly)rhythmischen Impuls hat.”

Das Stück besteht aus drei Sätzen: Schnell, langsam, schnell. In den schnellen Sätzen sorgen die Marimbas für den harmonischen Background, welcher von statischer Natur ist. Die Marimbas erklingen im Kanon, eine Technik, welche ich in vielen anderen Werken verwendet habe. Die Vibraphone präsentieren das melodische Material zuerst in Monodie, dann im Kanon. Im mittleren langsamen Satz wechselt die Textur unter spärlichem Gebrauch von Tönen zugunsten eines dünnen, transparenten Satzes.

(Steve Reich über das Mallet Quartett)

Das über Crowdfunding finanzierte Projekt glänzt mit einem umfangreichen Booklet. Die unterschiedlichen Handschriften der verschiedenen Komponisten sind deutlich auszumachen. Minimal Music auf Schlagwerken ist für mich jedenfalls deutlich entspannter, als auf dem Klavier. Ich bin gespannt wie Ihr diese Unterschiede empfindet und wie diese Kompositionen auf Euch wirken.


Yoko Morimyo & Damiano Afrifa: Musica Spirituale
Works by Arvo Pärt, Florence Price, Giacinto Scelsi & Franco Battiato / 19m40s_16

Das Label „19’40″“, spricht bei dieser Veröffentlichung, „Musica Spirituale“ von einer „anhaltenden Zeit der Kontemplation“, was für viele in der Corona-Zeit zutrifft. Kontemplation kann auch mit „in-sich-kehren“ oder „versenken“ interpretiert werden. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir in dieser anhaltenden Situation auf uns selbst zurückgeworfen werden. 4 unterschiedliche Musikstücke hat das Label dafür zusammengestellt. Musik, die verschiedene Handschriften trägt und uns unterstützen will.


Die Beziehung zwischen Musik und Stille ist eigentlich sehr alt. Die Musik hat es immer verstanden, verschiedene Strategien zu finden, um die Stille zu nutzen oder sogar Stille zu schaffen, zu suggerieren, zu ‚erinnern‘ – sie geradezu zu begehren. So schreibt Emanuele Ferrari in seinem schönen Buch „Ascoltare il silenzio“ (Der Stille lauschen).

Marco Moiraghi – The Sound of Silence


Es ist eine Musik des Innehaltens, des bewussten Zuhörens. Um so besser finde ich den Einstieg mit Franco
Battiato. Er versetzt uns in den Zustand des konzentrierten Hörens, wenn wir den Resonanzen in den Pausen lauschen, die durch immer wieder arpeggierte Akkorde ausgelöst werden. Ich persönlich halte da die 15 Minuten für zu kurz. Das Stück von Arvo Pärt wird wohl jeder irgendwie schon gehört haben, es ist zu einer „Erkennungsmelodie“ geworden. Einen kleinen Bruch gibt es mit der mikrotonalen Musik von Giacinto Scelsi, bevor wir mit der erstaunlichen Musik von Florence Price entlassen werden. Wieder eine Komponistin, die es zu entdecken gilt, genauso wie die erstaunlichen Veröffentlichungen des Labels „19’40“. Dort gibt es eine interessante Interpretation von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ oder Filmmusik von Bernhard Hermann, mit einer sehr ungewöhnlichen Besetzung und vieles mehr.

Verbunden mit dem Essay „The Sound Of Silence“ von Marco Moiraghi, welches im Booklet nachgelesen werden kann, ist diese Veröffentlichung ein gutes Beispiel, wie wir Musik hören können, die kein Ambient oder Newclassic Gedudel ist, und uns in einen Zustand des bewussten Hörens versetzen kann.


Oh No Noh, Midori Hirano, Jo David Meyer Lysne: Distant Sediments / MC Teleskop TELE013

Der Titel bezieht sich auf den kompositorischen Prozess, eine Art Komposition, die in Zeit und Raum verschoben ist. Viel mehr ein „Weglassen“ als ein „Hinzufügen“, mit der Voraussicht, Raum für die Ideen der anderen – ohne zu wissen, wie sie am Ende klingen würden.

Ähnlich wie bei der Entstehung von Sedimentgesteinen, die sich aus Überlagerungen und Ablagerungen älterer Gesteine bilden, haben die drei Musiker einzelne Elemente aus Feldaufnahmen und Improvisationen übereinander gefügt und zu einer neuen Einheit verbunden. Die daraus entstandene Musik ist eine tranceartige Momentaufnahme, ein breites Spektrum von Ambient, SoundArt und Soundscapes.

Oh No Noh, Midori Hirano und Jo David Meyer Lysne komponierten jeweils ein Stück, das die Grundlage für die Overdubs der anderen beiden Musiker bildet. Auf diese Weise ist jedes der drei Stücke auf unterschiedliche Weise entstanden. Die Titel der Stücke geben die Reihenfolge der dieser Overdubs (MH Midori Hirano, MR Markus Rom, JL Jo Lysne).© Text: Teleskop

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