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TAZ: „Die Musik in der Hauptrolle“ Steve McQueen und die Renaissance von Dubreggae

Steve McQueen zeigt es in der Filmreihe „Small Axe“, Fabienne Miranda und Junior Loves in ihrer Musik: Dubreggae klingt besser denn je. Von Julian Weber

Dem realistischen Kino falle es oft schwer, zu zeigen, was zum Leben dazugehört, hat der französische Komponist und Filmtheoretiker Michel Chion einmal beklagt: Seiner Meinung nach fehle es darin an glaubhaften Darstellungen vom Überschwang der Liebe, von Lebensfreude, die die Menschen zumindest zeitweilig erfüllt, und der Bedeutung von Gemeinschaft im Alltag. Im (Film-) Musical des 20. Jahrhunderts sah Chion eine geeignete Form, diesen Impulsen künstlerisch Ausdruck zu verleihen: Und er nannte die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv durch eine synchron getanzte Choreografie, innere Monologe, die sich durch Gesang in einem Song mitteilen, und andere Gestaltungselemente des Genres als Marker.

„Dem Leben und der Wirklichkeit vollständig entsprechen“, nichts weniger sah Chion im Musical verwirklicht. Und er stellte sich dabei abstrakt einen Rhythmus vor, dem jede/r in einer (Tänzer:innen-) Gruppe entspricht und das Echo der Anderen, das jeweils in einem selbst mitschwingt. Bis dass der Ton sogar das Bild führt, in einer „zweiten Welt aus Tanz und Gesang“.

Weitab von den Fantasie-Konventionen des Musicals hat diese imaginäre zweite Welt nun der Filmemacher (und bildende Künstler) Steve McQueen in einem Film seiner fünfteiligen, für den britischen Sender BBC realisierten TV-Reihe „Small Axe“ zu einer hypermodernen und realistischen Form weiterentwickelt.

Prekärer Alltag

Alle Filmteile handeln vom prekären Alltag und der rassistischen Benachteiligung der karibischen Community im London der 1970er und 1980er Jahre und beruhen auf wahren Begebenheiten. Mit der zweiten Folge, „Lovers Rock“ betitelt, liefert der 51-jährige Afrobrite, dessen Eltern aus der Karibik stammen, fiktionale Bilder, die die intensiven Wirkungen von Musik enorm dynamisch bezeugen; es ist ein Film über Musik, wie es ihn so noch gar nicht gab. Und eine Vergegenwärtigung der kulturellen Kraft von Dubreggae.

Film & Tonträger:

„Small Axe“ (Großbritannien 2020, Regie: Steve McQueen), fünf Filme über Amazon Prime

Fabienne Miranda featuring Tropical Energy: „La Destinée“ (Common Ground International/Import)

Junior Loves: „Yantlet“ (5Gate Temple/Hardwax)

© TAZ, Kultur, Musik, 8.1.2021

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