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Ringen mit Saturn: Sun-Ra-Arkestra-Leiter Marshall Allen wird 100

Eine Sendung von Ralf Dorschel. Es begab sich 1958 und Marshall Allen geriet in die Umlaufbahn eines exzentrischen Genies: Dass Sun Ra nicht von diesem Planeten war, betonte er selbst sein irdisches Leben lang. 

Und schuf ein Großwerk aus Swing und Avantgarde, aus Weitsicht und Wahnwitz, aus Afrikas Diaspora und seiner Zukunft in den Sternen. Im kosmischen Schlepptau seines Arkestra fanden sich immer neue Jünger – man lebte als Kommune und arbeitete Tag und Nacht an den Werken des Meisters, der höchste Ansprüche an die Disziplin seiner Band stellte.

Es waren harte Lektionen für den jungen Saxofonisten: „Du klingst gut – aber das will ich nicht“, so hörte Marshall Allen von Sun Ra. Und: „Du hast alles richtig gespielt – jetzt musst Du aber das Falsche richtig spielen“. Im Bannkreis des Bandleaders entwickelte Allen sich zu einem Musiker mit tumultösem Ton – und blieb Sun Ras Musik auch nach dessem Tod treu. Seit 1993 leitet Allen das Sun Ra Arkestra – und fand sich in einer schwierigen Rolle wieder: Wie verwaltet man einen solchen gegen den Strich gebürsteten Nachlass, ohne in kreative Stagnation zu verfallen, wie würdigt man eins der radikalsten Oeuvres der Jazzgeschichte, ohne es abzuwickeln?

Hier liegt Allens Kunststück: Das Arkestra klingt auch 30 Jahre nach Sun Ras letztem Flug zum Saturn immer noch modern und zeitgemäß, es tourt unablässig und es bietet ein Spektakel, aber keinen reinen Nostalgie-Act: „Dies ist eine Show-Band! Du musst singen, Du musst tanzen, Du musst ein Comedian sein – alles, nur nicht einfach dasitzen wie ein traditioneller Musiker!“ Heute lässt Marshall Allen es ruhiger angehen – die Weltreisen seines Arkestra finden ohne ihn statt, lieber zeigt der greise Bandleader Neugierigen heute das Haus, in dem alles mit Sun Ra begann. Und in dem Allen immer noch lebt. Am 25. Mai wird der Saxofonist 100. © Text: Ralf Dorschel.



© NDRKultur, Play Jazz, 27.5.2024

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