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Hörspiel „H. Ein Abendbild“ Von Wilfried F. Schoeller

1806 wurde Friedrich Hölderlin in die Autenriethsche Klinik in Tübingen eingeliefert. Sein sonderbares Benehmen und einige politische Geheimkenntnisse, die er ausgesprochen haben mag, machten seine Entfernung aus der Residenzstadt Bad Homburg notwendig.

Nach einigen Monaten wegen unheilbarer Geistesverwirrung aus der Klinik entlassen, verbrachte er die zweite Hälfte seines Lebens bis zu seinem Tod 1843 in der Obhut des Schreinermeisters Zimmer in einem Turm am Neckar.
Der Eremit und Fremdling unter vielen Namen, der Verrückte und sprachliche Selbstherrscher ist der Passionsheld dieser Geräusch- und Sprachcollage. Insassen des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Weinsberg bei Heilbronn buchstabieren seine Verse, reden seinem Unglück nach und besprechen ihr eigenes; beschreiben in seinem Gesicht ihre Sehnsüchte und Schrecknisse, singen von unerlösten Vergangenheiten, schreien ihren und seinen Schmerz heraus, wenn sie an Natur und Frieden denken. Hölderlin im Irrenhaus: eine poetische Emphase in der geschlossenen Abteilung.
Das Hörspiel wurde zum Hörspiel des Monats Februar 1985 gewählt. „Ein Hörspiel“, so die Jury, „aus erschreckend dichten, hochpoetischen O-Tönen, Versen und krankheitsbezogenen – teils fiktiven – Dokumenten […] von unbestreitbarer Suggestion. Ein Versuch, der alten Frage von Genie und Wahnsinn im Fall Hölderlin mit Trauer, Nachdenklichkeit und nachempfindender Objektivität neu zu begegnen. Ein Versuch aber auch, dem fast abgeschriebenen O-Ton-Hörspiel neue Bereiche zu erobern.“


„H. Ein Abendbild“ Von Wilfried F. Schoeller 
Mit Ulrich Wildgruber, Matthias Fuchs, Charles Wirths, Heinrich Giskes, Wolfgang Forester und vielen O-Ton-Stimmen.
Realisation: Wilfried F. Schoeller & Peter Liermann
Musik: Heiner Goebbels

hr 1985
Wilfried F. Schoeller, 1941 in Illertissen geboren, Studium der Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in München. Wurde 1968 mit einer Arbeit über Heinrich Mann promoviert. War bis 2002 Leiter der Literaturabteilung des Hessischen Rundfunks/Fernsehen. Honorarprofessor für die Literatur des 20. Jahrhunderts, Literaturkritik und Medien an der Universität Bremen. 2016 erschien im Hanser-Verlag seine Franz Marc Biographie.

© HR 2, Hörspiel, 6.6.2018

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