Duo Bob Vylan „Eine Musik, die gefährlich ist“
Kraftvoll in die Fresse des Establishments und elegant dabei: Dem britischen Duo Bob Vylan geht es ums Ganze. Von Berthold Seliger
Ja, muss man denn alles selber machen? Ich hatte nie vor, Popkritiken zu schreiben, aber je nun, wenn die meisten Haupt- und Nebenberuflichen nur noch die Produkte rezensieren, die ihnen die Musikindustrie zum Fraß hinwirft, und die Feuilletons und Musikmagazine entsprechend voll sind mit den immer gleichen Bands, die 30-, 40- oder 50jährige Jubiläen feiern und neue, uralt klingende Alben auf den Markt bringen, von AC/DC bis Motörhead, dann muss unsereiner die Albumbesprechungen, die man lesen will, eben tatsächlich selber schreiben. Also, Friends, nehmt dies:
»We Live Here« heißt ein Song, den das britische Duo Bob Vylan im Frühjahr im Musikportal Bandcamp herausgebracht hat. Es ist eine Art antirassistische »Hymne«, ein brutal direkter, unverblümter und illusionsloser Bericht darüber, wie es ist, als Person of Color in einer feindlichen Umgebung aufzuwachsen: »Free school dinners for the poor / Pizza with a side of misery / Teachers said when I leave / No one here will miss me (…) Neighbours called me nigga / Told me ›go back to my own country‹ / Said since we arrived / This place has got so ugly / But this IS my fucking country / And it’s NEVER been fucking lovely.«
Nein, wirklich nichts an dem Land ist schön, aber, verdammt noch mal, wir leben hier nun mal: »We didn’t appear out of thin air / We live here«! Die Musik dazu: harte Gitarrenriffs, punkig treibt das Schlagzeug den Schmerz und die trostlose Wahrheit voran – Punkrock also, wie er leibt und lebt, zwei Minuten und zwölf Sekunden lang, mehr braucht es nicht, dann ist alles gesagt. Das Besondere ist der Text: kraftvoll und griffig, wie es sich für eine wütende Anklage gehört, aber gleichzeitig ausgesprochen elegant – Popkuratoren könnten so was ohne Probleme in Lyrikbüchlein abdrucken, wenn, ja, wenn der Inhalt nicht wäre.
© Junge Welt, 25.11.2020