Wie sich Ost und West mit Hilfe der richtigen Songs näherkamen: Zwei Bücher erkunden auf unterschiedliche Art die deutsch-deutsche Musikkultur. Von Philipp Krohn.
Zu ihrem Zapfenstreich hatte die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr drei Musiktitel ausgewählt – recht spät, wie das Stabsmusikkorps der Bundeswehr anmerkte. Denn für die Stücke gab es zum Teil nicht einmal passende Noten. „Du hast den Farbfilm vergessen“ war eine Wahl, die zu Merkel passte. Nicht so subversiv, dass sie damit bestimmte Gruppen gegen sich aufbringen würde. Aber doch ließ sich die Sympathie für das DDR-Frühwerk der Sängerin Nina Hagen mit einem Text von Kurt Demmler auch als ein vorsichtiges politisches Statement begreifen.
Von Mitte der Siebzigerjahre an war Popmusik ein wesentlicher Teil der Annäherung zwischen Ost und West. Manche glauben sogar, der Austausch von Musikern und das Geschehen auf Berliner Konzertbühnen habe entscheidend dazu beigetragen, dass 1989 die Mauer fiel. In Nina Hagen spiegelt sich diese Entwicklung. „Vielleicht war dies die erstaunlichste Wendung in der deutschsprachigen Popmusik der siebziger Jahre – dass die von Zensur und Unterdrückung geprägte Kultur der DDR eine Künstlerin hervorbrachte, die nach ihrer Übersiedelung in den Westen alle dort gängigen Ausdrucksformen von sexueller Rebellion übertraf“, schreibt der Musikjournalist Jens Balzer in seinem Buch „Schmalz und Rebellion. Der deutsche Pop und seine Sprache“.
Joachim Hentschel: „Dann sind wir Helden“. Wie mit Popmusik über die Mauer hinweg deutsche Politik gemacht wurde. Rowohlt Verlag, Hamburg 2022. 416 S., Abb., geb., 26,– €.
Jens Balzer: „Schmalz und Rebellion“. Der deutsche Pop und seine Sprache. Dudenverlag, Berlin 2022. 224 S., geb., 20,– €.
© FAZ, Feuilleton, 27.8.2022