„Sounds of Absence“ (Klänge der Abwesenheit) versammelt künstlerische Beiträge zum Begriff der Abwesenheit, aus zwei Jahren pandemischer Lockdowns. Diese Kompilation ist ein Kooperationsprojekt mit der Forschungsgruppe ARS – art research sound – an der Hochschule für Musik Mainz, geleitet von Peter Kiefer, und kuratiert von Wingel Mendoza und Joshua Weitzel.

Was ist der Klang der Abwesenheit? …
… war die Frage, die Peter Kiefer, Leiter der Gruppe ARS: art-research-sound an der Musikschule Mainz, stellte, als der erste Lockdown der Covid-19-Pandemie eintrat. Daraufhin initiierte er eine Plattform zum Sammeln von Feldaufnahmen aus der ganzen Welt, Klänge aus öffentlichen Räumen unter Lockdown-Bedingungen zu sammeln.
Als die zweite Lockdown-Phase eintrat, entwickelte sich diese Idee zu einer über die reine Dokumentation hinausgehenden Idee, Künstler aus der ganzen Welt um Beiträge zu bitten, die sich künstlerisch mit der Idee der Abwesenheit und den Lockdown-Bedingungen auseinandersetzen. Wir freuen uns, dass wir eine Vielzahl von künstlerischen Beiträgen aus der ganzen Welt zu diesem Thema zusammengetragen haben: Feldaufnahmen kommen in vielen der Arbeiten zum Einsatz, etwa in Lasse-Marc Rieks Aufnahmen von Hanau unter Ausgangssperre oder Roland Etzins elektromagnetischen Erkundungen von Frankfurter Schaufenstern, die trotz geschlossener Läden immer noch sehr aktiv sind, oder in Danbi Jeungs Atmosphären des Frankfurter Flughafens oder in KMRUs Window Stills.

Andere Stücke folgen ganz anderen Konzepten der Abwesenheit: In Silent Train von Viola Yip werden wir mit komplexen Audio-Rückkopplungen konfrontiert, die an einen gespenstisch leeren Zugwaggon erinnern. Juan Bermúdez verwendet stattdessen leere Aufnahmegeräte für präzise Aufnahmen der tatsächlichen Leere. Cecilia Arditto verwendet für ihre Komposition Utensilien aus ihrem Haus. Der Rückzug ins häusliche Refugium ist auch in Alvin Currans Containment Etude 0.1 präsent. Was ein Teil aus sechs Stunden aufgezeichnetem Material ist, das Curran während eines Einschlusses in Berkeley, Kalifornien, unter Verwendung seiner Sammlung von Samples neu aufgenommen hat. In der Komposition von Emmanuelle Waeckerlé werden Aufnahmen aus ihrem Haus in London und eine von einem Aufenthalt in Saltdean verwendet, die den Wind und ihre Stimme in Anlehnung an Timothy Mortons Hyperobjects zusammenbringen. Wingel Mendoza thematisiert ebenfalls die Stimme in ihrer Isolation, die unverständlich gemacht und von elektronischen Klängen übertönt wird. Elektronische Klänge stehen auch im Mittelpunkt des binauralen Stücks von Patrick Hartono, das den intensiven akustischen Eindruck einer Abriegelung vermittelt.

In anderen Fällen wurden Feldaufnahmen auf unterschiedliche Weise behandelt, wie in Nicola L. Heins KI-basierter Verarbeitung von Aufnahmen von Feuerwerkskörpern während der BLM-Proteste in New York, Feldaufnahmen von Kobe zusammen mit einem sanften Synthesizer in Hacos Sho-Fuku-Hill oder die Verschmelzung verschiedener Aufnahmen in der Gemeinschaftsarbeit von Jim Igor Kallenberg, Joshua Weitzel und Michael Zwenzner, die aus Aufnahmen einer Störung in einer Online-Konferenz für Klangstudien mit verarbeiteten Aufnahmen aus dem Park Wilhemshöhe in Kassel und einem Privathaus in München vermischten. Raphael Kariuki erkundet mit seinen Aufnahmen ein Viertel in Nairobi und spaziert entlang der Klänge von illegalen Ostergottesdiensten, die aus Häusern und Kirchen dringen. Stefan g. Fricke wiederum mischt Stimmsamples von Theodor Adorno mit der vor Adornos Grab in Frankfurt aufgenommenen Atmosphäre und formt daraus einen Satz aus Erich Kästners Gedicht „Meyer IX. im Schnee“. Dominykas Digimas‘ Arbeit basiert auf dem seltenen Ereignis, dass der Fluss Neris in Vilnius komplett zugefroren war, während die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen waren. Er verwendete verschiedene Techniken, um den Fluss aufzunehmen.

Alle in dieser Zusammenstellung versammelten Beiträge sind individuell und spiegeln die unterschiedlichen Situationen in den verschiedenen Ländern wider. Die Situation in Bogota, Frankfurt, Kobe, New York, London, Nairobi und Vilnius war unterschiedlich, ebenso wie die Schicksale der von der Pandemie Betroffenen. Aber diese Pandemie ist auch etwas, das wir alle erleben, und in unseren unterschiedlichen Erlebnissen sind wir alle verbunden. © Alle Texte: Gruenrekorder
Dass diese Musik, bisher, noch nicht im deutschen Rundfunk gesendet wurde, ist ein Dilemma. Wahrscheinlich sollte ich einen Podcast mit solcher Musik beginnen. Aber das brauche ich nicht, denn es gibt ja „Late Junction“ von der BBC, wo allerlei Musik gespielt wird, die es in deutschen Redaktionen noch nicht einmal aufs Papier schafft 😉
Dort habe ich auch die Musik von Michael Lightborne gehört, der mich dann zu Gruenrekorder führte. Dann fiel mir ein, dass ich noch was von Gruenrekorder auf der Festplatte hatte und so bin ich auf diese Compilation gestossen.
Wie ihr sicherlich wisst, ist dies nicht die erste und bestimmt nicht die letzte Compilation, zum Thema Pandemie und Lockdown. Das besondere an dieser Compilation ist ihre Bandbreite, die Gegensätzlichkeit ihrer Entwürfe. Kurz, ihr kompromissloser Ansatz. Und hier bleibt sich das Label Gruenrekorder treu.
So kann ich euch diese Compilation nur wärmstens ans Herz/Ohr legen.
Am meisten beeindrucken mich Feldaufnahmen unter Kopfhörern und das ist wirklich faszinierend!
Tracklist:
01 – Patrick Hartono: Lockdown (binaural for headphone)
02 – Emmanuelle Waeckerlé: What is left if we aren’t the world
03 – Nicola L. Hein: New York Oh My Mind
04 – Danbi Jeung: Opacity Crowd
05 – Viola Yip: Silent Train
06 – Haco: Sho-Fuku Hill
07 – Lasse-Marc Riek: Ausgangssperre_01_01_2021_21Uhr_05_Steinheim_Hanau
08 – Cecilia Arditto: Anatomy of a Jar
09 – Juan David Bermúdez: Inner Voices (all we have left is noise)
10 – Raphael Kariuki: Defiance
11 – Dominykas Digimas: Flow Song
12 – Jim Igor Kallenberg/Joshua Weitzel/Michael Zwenzner: I am sitting in a z[u]m
13 – Wingel Mendoza: La distancia aclara una voz
14 – KMRU: Window Stills
15 – Roland Etzin: Electromagnetic Fields MTZ
16 – stefan g. fricke: K119
17 – Alvin Curran: Containment Etude 0.1
17 Tracks (71:42)
CD (500 copies)