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„Kaspar“ Nach dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Handke

Die historische Figur Kaspar Hauser tauchte 1828 in Nürnberg als ca. 16jähriger „rätselhafter Findling“ auf, schien geistig zurückgeblieben, redete kaum und ernährte sich anfänglich nur von Brot und Wasser. Er wurde zur legendenumwobenen gesellschaftlichen Attraktion.

Manche glaubten, er sei der misshandelte und ausgesetzte Erbprinz von Baden, andere sahen in ihm den unzivilisierten Rousseauschen „guten“ Wilden“.

Der 2019 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Peter Handke bearbeitete 1968 sein experimentelles Sprechstück aus dem gleichen Jahr eigens für das SDR-Hörspiel. Die neue Technik der Stereophonie erlaubt eindringlich, dass alles Individuelle tilgende Disziplinierungswerkzeug der Sprache am besten zum Ausdruck zu bringen.

Am Beispiel der Kunstfigur Kaspar wird das Ergebnis der Sprachabhängigkeit gezeigt. Der Mechanismus der Sprache wird als Methode der erzieherischen Dressur vorgestellt. Die Stadien der Sprachfindung Kaspars, und die Sprach- wie Sprecherziehung, der er von seinen Einsagern unterzogen wird, sind genau gegeneinander abgesetzt.

Schrittweise wird Kaspar durch die Behandlung seiner Einsager zum „Nachsager“, bis er das Stadium der vollkommenen Anpassung erreicht hat und jegliche Individualität verliert. Am Ende hat er den anderen „Kaspars“ nichts mehr zu sagen.

Das Stück ´Kaspar´ zeigt nicht, wie es wirklich ist oder wirklich war mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was möglich ist mit jemandem. Es zeigt, wie jemand durch Sprechen zum Sprechen gebracht werden kann. Das Stück könnte auch ´Sprechfolterung´ heißen.
Die Stimmen, die auf den Helden einsprechen, sollten, obwohl in ihrem Sinn immer ganz verständlich, die Sprechweisen von Stimmen sein, bei denen auch in der Wirklichkeit ein technisches Medium zwischengeschaltet ist: Telefonstimmen, Radio- und Fernsehansager-Stimmen, die Stimmen der Zeitansage im Telefon, die automatischen Antworttonbänder (Zugauskunft, bitte warten), die Sprechweisen von Fußballkommentatoren.
Alle diese Sprechweisen können auf den Text angewendet werden, freilich nur so, daß durch sie der Sinn oder Unsinn des Eingesagten verdeutlicht wird. Kaspar hat keine Ähnlichkeit mit einem Spaßmacher.“

Peter Handke

„Kaspar“ Nach dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Handke

Mit Ernst H. Hilbich, Ingeborg Engelmann, Heiner Schmidt und Peter Roggisch
Regie: Otto Düben
Produktion: SDR 1968

© SWR 2, Hörspiel, 6.5.2021

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