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Auserzählt? (2/4): Im Auserzählten. Von Kathrin Röggla

Die derzeit brennendste globale Geschichte, die erzählt wird, ist die der sich dramatisch zuspitzenden ökologischen Krisen. Sie wird als spektakuläre Untergangserzählung vorgetragen, als Warnung und Mahnung. Doch je lauter und je drastischer wir sie erzählen, umso weniger wird sie gehört oder gar verstanden.

Gibt es das überhaupt, das Auserzählte? Kann ein Stoff, ein Thema auserzählt sein? Was meinen wir, wenn wir sagen, eine Geschichte oder ein Stoff sei auserzählt, beziehen wir uns dabei auf eine Verwertungslogik, in der wir sagen, eine Sache hat sich verbraucht? Sie sei inflationär am Markt und es gebe keine Abnehmer für sie. Oder ist eine Erzählung einfach an ihr Ende gekommen. Sie hat einen Rand erreicht und es gibt schlicht kein Wort mehr zu verlieren, ihre Binnenökonomie, die Erzähldramaturgie hat sich erschöpft. Und sprechen wir dabei nur von Literatur, oder auch von gesellschaftlichen Erzählungen? Immerhin hat der Begriff des Narrativs in den letzten 20 Jahren gehörig Karriere gemacht und den der Ideologie ersetzt. Wir hatten also Zeit, uns an die Idee der gesellschaftlichen Erzählungen zu gewöhnen, fast so, als ob wir uns gesellschaftlich „nur“ Geschichten erzählen würden, denen man auf den Leim gehen kann oder nicht, denen jedenfalls wenig reale Grundlage entspricht.

Seltsamerweise gilt die Klimakrisenerzählung schon seit langer Zeit als auserzählt. Wäre hier nicht die traditionelle Aufgabe der Literatur, diese vermeintlich auserzählten Stoffen wieder zurück ins Erzählbare zu bringen, heute mehr denn je geboten?

Ein Essay, der als Vortrag der Autorin auf dem Kölner Kongress 2023 zum Erzählen in den Medien im Deutschlandfunk gehalten wird.




© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 19.3.2023

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