Jazzfestival Saalfelden 2024 „Zwischen Paartherapie und Politik“

Ljubiša Tošić (Der Standard). Es gab Jazz für bessere deutsch-französische Beziehungen, abstrakte Pointen von Sylvie Courvoisier und indisch geprägte US-Avantgarde von Amirtha Kidambi.

Dass der Name des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl beim Jazzfestival in Saalfelden eine Rolle spielen würde, war so nicht zu erwarten. Dennoch passierte es, und das kam so: Saxofonist Daniel Erdmann ortet seit einer Weile zwischen den EU-Urgesteinen Deutschland und Frankreich – an der Spitze repräsentiert durch Olaf Scholz und Emmanuel Macron – gewisse Beziehungsprobleme. Als bilaterale Aufhellung der Partnerschaft inszenierte er das Projekt Thérapie de couple, das im Saalfeldener Congress als Paartherapie auch ein historisches Kohl-Bild aus besseren Politzeiten heraufbeschwor.

Das Stück I Want To Hold Your Hand etwa bezieht sich auf das Treffen von Kohl und Präsident François Mitterrand. 1984 nahmen sie einander in Verdun beim Gedenken an die Opfer des Ersten Weltkriegs plötzlich an der Hand. Dieses bedeutende Bild wird von Erdmann jedoch nicht jazzhymnisch gefeiert. Der Gedanke an die Person Kohl bereite ihm ein gewisses Unbehagen, war von ihm zu hören. Im raffinierten Stück scheint insofern bewusst auch jene Beklemmung und Verkrampfung einkomponiert, welche beide Staatsmänner bei ihrer angeblich spontanen emotionalen Geste durchströmt haben mag. Smart in Töne gesetzt das Ganze.

© Der Standard, Kultur, 25.8.2024