Das Alter(n) der Avantgarde oder warum das Morgen nach Gestern klingt
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Von Harry Lachner
Die sich als Vorhut gerierenden Experimentalisten entwarfen am Beginn des 20. Jahrhunderts eine Kunst von Morgen. Sie sollte das Produkt einer imaginären Zeitreise werden, ein Fundstück, das als Trophäe aus der Zukunft zurückgebracht wird. Was die Literaten, Künstler und Musiker einte, war eine der Aufbruchszeit geschuldete Fortschrittsgläubigkeit: Geschichte als planbares Kontinuum der Hoffnung und der Hybris. Und heute? Nichts klingt so alt wie eine Avantgarde von gestern, die als ihre eigene, wehmütig inszenierte Geschichte in der Gegenwart herumirrt. Ist aus den visionären Konzepten mehr geworden als ein Reservoir für Zitate, ein Dekor für kommerzielle Strategien?
© SWR 2, Essay, 20.6.2016