Medientipps

DreckSack Sonderausgabe: Musik. Exklusiver Text von Ronald Galenza

Ronald Galenza war so freundlich, mir einen Auszug aus seinem Text für die DreckSack Sonderausgabe Musik zur Verfügung zu stellen. Ich habe eine Passage ausgewählt, die auch heute noch relevant ist. Überhaupt ist diese Ausgabe voll von kleinen und großen Geschichten über Musik in all ihren Erscheinungsformen. Tolle Fotos sind auch dabei und so ist diese Ausgabe des DreckSack eine Empfehlung für alle Musikfreunde.

Ronald Galenza: VON MENSCHEN, KNEIPEN UND MUSIK, TEIL II (Reportage) … Ein Auszug

Neonazis und Rechtsextreme waren in der antifaschistisch deklinierten DDR eigentlich undenkbar. Sie erwischten uns vor der Kirche. Meinem Freund traten sie in den Bauch, mir droschen sie die Brille aus dem Gesicht. Ein Punk lag schon gekrümmt neben uns auf dem Boden. Ein Streifenwagen fuhr gar im Schritttempo an einem Verletzten vorbei. Trotz mehrerer Notrufe griff die Volkspolizei nicht ein. Es war der Abend des 17. Oktober 1987 vor der Zionskirche im Berliner Prenzlauer Berg. 30 Skinheads überfielen mit unglaublicher Brutalität ein Konzert in der Zionskirche. Dort spielten die Bands Die Firma und Element of Crime aus Westberlin. Die Neonazis stürmen das Gotteshaus, drängen über das Seitenschiff rein, schlugen mit Fäusten, Fahrradketten und Fenstergriffen bewaffnet auf Konzertbesucher ein. Sie brüllen Parolen wie „Ihr Judenschweine!“, ›Sieg Heill“ »Juden raus aus deutschen Kirchen“. Dieser Überfall auf die Zionskirche wurde eine Zäsur, weil die Problematik der Rechtsradikalen nun erstmals in der Öffentlichkeit und den Medien auftauchte. Über die Prozesse gegen die Skins wurde breit in Zeitungen berichtet, allerdings war dort oft nur verharmlosend von Rowdys die Rede. Es ergingen Haftstrafen zwischen vier Jahren bis zu einem Jahr und sechs Monate gegen die vier Straftäter. Im Februar 1988 wurden dann acht weitere Beteiligte an diesem Überfall zu drastischen Gefängnisstrafen verurteilt.

Ich stand in Ostberlin auf einem Luftgitter in der Friedrichstraße, direkt unter meinen Füßen fuhren meine soeben ausgereisten besten Freunde L. und M. mit der U6 vom Wedding nach Kreuzberg. Es war zum Heulen. Aber manchmal erhoben die Ostberliner auch stolz die Köpfe. Hineingeboren in den Circus Marxismus. Oben, direkt über uns, flogen die Pan Am-Maschinen durch unseren Himmel in die andere Hälfte derselben Stadt, in eine andere Welt. Wir lebten in der Geschlossenen. Auf der verzweifelten Suche nach uns selbst waren wir innerhalb der DDR permanent republikflüchtig. Das Absetzproblem von Teilen der Bevölkerung blieb ein permanentes: die ständige Ausreise. Das zerriß nicht nur unzählige Familien, betraf Freunde und Ver-wandte. Auch die Hoch- und Subkultur erlitten durch jeden Weggang von Künstlern schwere Einbußen.

Natürlich war West-Berlin immer präsent. Nur wußten wir gar nicht, wie häßlich, piefig und provinziell es wirklich war. Die andere Stadthälfte blieb eigentlich immer nur Projektion. Oder ein Zufluchtsort aus der DDR. Trotzdem bekamen wir gerne Westbesuch, illegale Geheim-Konzerte gaben in Ostberlin: Element of Crime zweimal, Foyer des Arts mit Max Goldt, Die Toten Hosen zweimal, Kiev Stingl, Die Tödliche Doris, Marianne Rosenberg, die Lolitas und am Ende schon ganz offiziell die Einstürzende Neubauten. Text: Ronald Galenza.




Flake: MEINE BESSERE HÄLFTE (Erzählung)

André Dahlmeyer: SING DAS SEMIKOLON! – PUNKT, KOMMA, STILLE: ÜBER ARGENTINIENS „TANGO-GOTT“ ROBERTO GOYENECHE (Reportage)

Matt Grau: MUSIK IST EINE WAFFE! (Gedicht)

Max Baum: MUSIK (Essay)

Michael Arenz: ICH WÄRE LIEBER MUSIKER GEWORDEN (Erinnerung)

Alexander Krohn: SOUND: (Bericht)

Key Pankonin: MUSIK UND MEER (Essay)

Erik Steffen: VOM ELEKTROLURCH ZU NOTDURFT – MUSIK IN OW 1976-1983 (Erinnerung)

Torben Stahn: PLATTENKAUF IM OSTKAUFHAUS (Bericht)

Ronald Galenza: VON MENSCHEN, KNEIPEN UND MUSIK, TEIL II (Reportage)

Henryk Gericke: FO 32 EXTRA HART ARBEITENDES RASTERMATERIAL FÜR KONTAKT; TAPETOPIA DDR-UNDERGROUNDTAPES 1980–1990 (Kurioses)

Olaf Tost: DRUGN‘ROLL IM OSTEN (Essay)

Florian Günther: FLUCHT IM MORGENGRAUEN (Gedicht)

Clint Lukas: POPPER UND FISCH (Bericht)

Florian Günther: DAS ENDE EINER GROSSEN LIEBE (Gedicht)

Matthias Merkelbach: BIRTH OF THE COOL-JAZZ & FILM NOIR (Essay)

Florian Günther: EIN GUTER JOB (Gedicht)

Maximilian Schäffer: DER STECHER DER DEUTSCHEN MUSIKGESCHICHTE (Nachruf)

Florian Günther: CHATSCHATURJAN (Gedicht)

Silke Vogten: MUSIK (Gedicht)

Thomas Meyer-Falk: AUF DER SUCHE NACH STILLE (Bericht)

Florian Günther und Törsten Stütz: SOGAR BOB DYLAN LEBT NOCH (Gespräch)

© edition-luekk-noesens.de, Drecksack, Nr. 10/2024

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