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Flucht ohne Ende – Der Schriftsteller Joseph Roth

Der Untergang der Habsburger-Monarchie nahm ihm die Heimat – und schenkte ihm sein Lebensthema: die Flucht ohne Ende, mit der Erinnerung im Gepäck. Wie Joseph Roth in seinen Romanen das Bild eines toleranten Vielvölkerstaates hochhält, ist gerade heute von bestürzender Aktualität.

Von Norbert Hummelt

Als vor genau hundert Jahren der österreichische Kaiser Franz Joseph stirbt, ist das für den jungen k.u.k.-Soldaten Joseph Roth, der vaterlos im jüdischen Schtetl in Brody (Galizien) aufgewachsen ist, ein grund-stürzendes Ereignis. Nach dem Krieg geht er zuerst nach Wien, dann nach Berlin und steigt zum Star-Journalisten auf, bevor er seine literarische Laufbahn beginnt. Mit dem Roman „Hiob“ wird er berühmt, mit dem „Radetzkymarsch“ setzt er 1932 seinem Kaiser und dessen zerfallenem Reich ein Denkmal, während ein ganz anderes Reich bereits vor der Tür steht. Der Aufstieg der Nazis verstärkt für den nun endgültig im Exil lebenden Autor die Sehnsucht nach dem alten Österreich und seiner die Völker unter einem Dach versammelnden Ordnung, die ihm als Gegenbild zu Totalitarismus und Nationalismus erscheint. Das Erzählen bietet dem früh Entwurzelten eine letzte Zuflucht: In seinen Büchern richtet Roth nicht nur eine nostalgische Utopie auf, er tut dies in einer Sprache, die in ihrer suggestiven Klarheit ein Gegengift zu allen Übeln ist – und bis heute zahlreiche Leser nicht nur begeistert, sondern ins Nachdenken zieht. Norbert Hummelt hat mit einigen unter ihnen gesprochen, in Wien mit dem Roth-Biographen Heinz Lunzer und dem jungen Romancier Reinhard Kaiser-Muehlecker, in Berlin mit der belgischen Roth-Übersetzerin Els Snick, dem Maler Bodo Rott und dem Gastwirt Dieter Funk, der in seiner „Joseph-Roth-Diele“ die Erinnerung an einen Autor lebendig hält, für den das Wirtshaus stets die letzte Zuflucht war. Ihre Stimmen setzt Norbert Hummelt zu einem lebendigen Gespräch zusammen, das mit Joseph Roth, seinen Büchern und ihrer bedrängend aktuellen Thematik neu bekannt macht.

 

Manuskript

© WDR 3, Kulturfeature, 19.11,2016

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