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Hörspiel: Nanni Balestrini: Der Verleger (1/2)

Vor 45 Jahren, am 14. März 1972, wurde unter einem Hochspannungsmast in Segrate, einem kleinen Ort in der Peripherie der lombardischen Metropole Mailand, die Leiche des Mailänder Verlegers Giangiacomo Feltrinelli entdeckt. Die eilig abgeschlossene gerichtliche Untersuchung kam zu dem Schluss, Feltrinelli sei bei dem Versuch, den Mast zu sprengen, ums Leben gekommen.

Gerüchte, dass er sein Leben nicht etwa durch einen selbstverursachten Unfall verloren habe, sondern vielmehr Opfer eines Mordanschlags geworden sei, gab es sofort – sie wollen bis heute nicht verstummen. Sein Tod war nicht nur für die bürgerlichen Kreise der Stadt ein Schock. Ganz Italien hielt inne.

Denn die Feltrinellis waren so etwas wie die Buddenbrooks von Mailand gewesen. Giacomo Feltrinelli, der Gründer dieser Dynastie von Händlern und Bankiers, galt bei seinem Tod im Jahre 1913 als reichster Mann Mailands. Später, zu den Zeiten der Republik von Salò, sollte sein Schloss am Gardasee Mussolini als Amtssitz dienen. Dass sein Nachkomme seit längerem dem italienischen Terrorismus nahestand und bereits im Untergrund lebte, war bekannt: Denn im aufgeputschten Klima jener Jahre hatte er sich politisch radikalisiert, ja, war sogar Mitbegründer der GAP, der „Gruppe der Partisanenaktion“. Unter anderem mit Rudi Dutschke befreundet war er 1967 zudem – vergeblich – nach Bolivien gereist, um Che Guevara nach Italien zu holen.

„Der ‚Verleger‘, um den es geht“, so der Autor des Romans Nanni Balestrini, „ist offensichtlich Feltrinelli, ein berühmter linksradikaler italienischer Verleger, der sich Anfang der 70er dazu entscheidet, den bewaffneten Kampf aufzunehmen und dabei auch umkommt. Aber „Der Verleger“ ist kein Buch über ihn.
Die Geschichte erzählt vielmehr von vier Personen, damals aktiv in der Linken, die versuchen, seinen Tod zu rekonstruieren, um einen Film darüber zu machen. Es ist ein Buch, das den Wendepunkt beschreibt, den Feltrinellis Tod darstellte. Mit ihm starb die alte Linke, die alten Gewerkschaften, der alte bewaffnete Kampf. Er war – weil er den Jungen sehr offen gegenüber war – so etwas wie die Drehscheibe zwischen der alten und der neuen Linken. Die Form des Dialogs zwischen den vier Personen über den Film, der sich allerdings im Verlauf des Dialogs als unrealisierbar herausstellt, ermöglicht das unabhängige Urteil des Lesers. Die verschiedenen Aspekte spielen eine Rolle. Und das machte die Form mit verschiedenen Ebenen und wie gesprochenen Dialog für mich naheliegend.“

Mit „Der Verleger“, dem 1989 (in deutscher Sprache 1992) erschienenen Buch über Giangiacomo Feltrinelli, schließt Nanni Balestrinis große Trilogie über den Kampfzyklus von 1969 bis 1977 ab.

Der Verleger „Teil I: vierzehn Uhr dreißig“
Von Nanni Balestrini
Aus dem Italienischen von Christel Fröhlich/Andreas Löhrer
Bearbeitung und Regie: Michael Farin
BR 2017 Ursendung

 

Nanni Balestrinis Roman „Der Verleger“ als Hörspiel
Michael Farin im Gespräch mit Ania Mauruschat
BR 2017

© Bayern 2, hör!spiel!art.mix, 3.11.2017

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