Jaimie Branch: „Flieg oder stirb!“ von Ulrich Stock

Mit ihrer Spezialwaffe, der Trompete, gibt die New Yorkerin Jaimie Branch dem Jazz frische Impulse.

Good morning, New York, das ist Jaimie Branch am anderen Ende der Videoschalte, aus einem Zimmer ihrer Vierer-WG in Red Hook, Brooklyn. Sieht aus, als ob sie unter einem Hochbett sitzt, im grau-grauen Shirt, leuchtend blaue Mütze auf, die langen Haare fallen darunter hervor bis über die Schultern, zu ihren Füßen der Hund, Kuma, den sie im Winter unter Corona adoptiert hat. Sie rückt ihn kurz ins Bild, ein kiebiger Mischling; er knurrt und wufft in unser Gespräch, wenn draußen vorm Haus gebellt wird.

Jaimie Branch kann rau sein; ich erinnere mich an ihren ersten Auftritt in Deutschland, beim Jazzfest Berlin, wo sie, die Neuentdeckung, im November 2018 im Trainingsanzug aus dem Saal auf die Bühne stürmte, eine Cindy aus Marzahn in Blau, um dann mit ihrer special weapon, wie sie die Trompete nennt, den eher besinnlich gestimmten Teil des Publikums gründlich aufzuscheuchen. Fly Or Die heißt ihre Band: Flieg oder stirb.

Das Etikett Punk-Jazz wurde ihr angeklebt; nirgends werden Ausbrüche aus dem Vertrauten so rasch und grob etikettiert wie im Jazz, der doch auf seine Freiheit eigentlich so stolz ist. Hat sie sich nicht ausgedacht, was soll’s. Und, im Übrigen, Punk nicht als Ästhetik oder Pose, sondern als Haltung – das sei schon ihrs. „Ich war mal Punkrockerin mit jeder Faser. Da ist viel Liebe in dieser Musik.“

© Zeit Online, Kultur, 12.5.2021

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