Musiktipps

„Jazzfest Berlin 2022“ Es muss doch ein besseres Leben geben!

Anklage und Utopie und Feuerlöscher: Das war das Jazzfest Berlin 2022 von Berthold Seliger. Der Jazz ist, neben dem Hip-Hop, wieder zur brodelndsten, politischsten und mithin wichtigsten Musik unserer Zeit geworden. Das 59. Jazzfest Berlin hat es gezeigt.

Auf der Großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele sind Feuerlöscher der Firma Minimax auf Podesten aufgebaut. Auf der linken Seite stehen diagonal sieben davon, auf der rechten acht. Einige Minuten, nachdem das Publikum im ausverkauften Saal Platz genommen hat, kommen fünfzehn Personen auf die Bühne und stellen sich hinter jeweils einen der Feuerlöscher. Wieder vergeht ein bisschen Zeit, bis der Dirigent auf die Bühne tritt – ein älterer, schlaksiger Herr im braunen Anzug. Er wartet etwas, deutet auf die linke Bühnenhälfte und gibt dann das Startsignal: Und dann sprüht der Schaum aus den Feuerlöschern auf den Boden, bis der Dirigent ein Stoppzeichen gibt. Längere Pause. Dann wendet er sich der rechten Bühnenhälfte zu; gleiches Ritual. Es sind Feuerlöscher eines anderen Typs, die weite Teile der Bühne in einen dichten Nebel tauchen.

So geht es hin und her, alles zischt, ein Mix aus Schaum und Kohlendioxid. Schließlich kommt es zum großen Countdown und alle Feuerlöscher versprühen gleichzeitig ihren Schaum und ihren Nebel, bis die Geräte endgültig leer sind. Ruhe. Applaus. Und eine eckige Verbeugung des Dirigenten. »MM schäumend – Ouvertüre für Handfeuerlöscher« heißt das knapp zehnminütige szenisch-konzertante Stück des Klangforschers Sven-Åke Johansson, mit dem der Freitagabend beim Jazzfest Berlin begann. Das Jazzfest hat Johansson, der seit 1968 in Westberlin lebt und zu den Pionieren des europäischen Freejazz, der freien Improvisation und der mitunter dadaistischen Performance- und Konzeptkunst zählt, einen Schwerpunkt gewidmet. Es ist schön, diesen alten und gleichzeitig sehr lebendigen, schalkhaften und wenn nötig sehr ernsten Gentleman auf der Bühne in verschiedenen Besetzungen agieren zu sehen.



nd, Kultur, 8.11.2022

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