Klaus Doldinger : Wir sind hier nicht in East St. Louis

Musik als Produkt mit deutschem Gütesiegel: Klaus Doldinger kombiniert in seiner Autobiographie den Willen zur Offenheit mit einer Prise Koketterie. Von Wolfgang Sandner.

Ob ich das Konservatorium besucht habe? So ein Witz! Ich habe das Saxophonspiel in der Besserungsanstalt von Pontiac gelernt.“ So beginnt Mezz Mezz­rows „Really the Blues“ aus dem Jahr 1946, eine der aufwühlendsten Autobiographien in der Geschichte des Jazz. Aber so ähnlich fangen viele Selbstdarstellungen von Jazzmusikern an: schonungslos mit sich selbst und mit ihrem Umfeld. Im ersten Kapitel von „Beneath the Underdog“ (1971) stellt sich Charles Mingus vor, wie er als Patient seinem Psychiater erklärt, was er von jenen hält, die ihm den Bühnennamen King von dies, Herzog von das oder Prinz von irgendwas geben, nur um von ihrer alltäglich praktizierten Diskriminierung abzulenken.

Dizzy Gillespie schlüpft mit seinen Memoiren „To Be or Not to Bop“ (1979) in die subversive Rolle eines Clowns. Wenn es um die Gesellschaft geht, erzählt er beiläufig, wie er als gefeierter Trompetenstar in seiner Heimatstadt, wo eine Straße nach ihm benannt wurde, den Friseur aufsucht und man ihm bedeutet: „Sorry, Sir, wir schneiden keine schwarzen Haare.“ Und Miles Davis? Ist auch beim Schreiben der unberechenbare Tornado, als der er in die Jazzgeschichte einging.



© FAZ, Feuilleton, 16.3.2023


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