Musiktipps

Laurie Andersons „Amelia“: Auf den Schwingen des Ikarus

Von Peter Kemper (FAZ). Das Storytelling ist die große Kunst der vielseitigen Musikerin Laurie Anderson. Nun widmet sie der Flugpionierin und Frauenrechtlerin Amelia Earhart ein Album zwischen Hörspiel und Songzyklus.

Obwohl sie viele Instrumente beherrscht, bleibt Laurie Andersons bevorzugtes ihre Stimme. Seit mehr als vierzig Jahren erhebt sie das „Storytelling“ zu einer Kunstform. Dabei schwankt ihr Singsang zwischen lässiger Slam-Poetry, formalem Nachrichtentonfall, zweifelndem Fragen und intimem Flüstern. In ihren mäandernden Geschichten zele­briert sie die Sätze und Wörter regelrecht, zieht sie wie eine Illusionistin mit hörbarem Vergnügen überraschend hervor, wendet sie hin und her und verleiht ihnen schlussendlich eine verführerische Tönung.



Gerade erst avancierte Anderson zur Tiktok-Ikone wider Willen: Ihr Überraschungshit „O Superman“ von 1981 ging plötzlich viral. Song-Zeilen wie „You don’t know me, but I know you, and I’ve got a message to give to you“ trafen exakt das Selbstverständnis von Millionen Tiktok-Nutzern: Selbstdarstellung und geheimnisvolle Inszenierung zugleich. Der elek­tronisch verfremdete Gesang, wie von einem Roboter erzeugt, schien perfekt das gespenstische Zugleich von vergänglichen Selbstbildnissen und ein bisschen Berühmtheit zu illustrieren. Dabei lautet die unterschwellige Botschaft von Andersons Vocoder-Stimme: Keine Technologie kann uns retten!




© FAZ, Feuilleton, 9.9.2024

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