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Night Video: Angélica Castelló: Star Washers (2020/21)

Januar 2020: Ich erhielt eine der fantastischsten E-Mails überhaupt: Marin Alsop fragte mich, ob ich Interesse hätte, ein Stück für das BSO zu komponieren, das in einem Konzert anlässlich des Starts des James-Webb-Weltraumteleskops gespielt werden sollte, ein gemeinsamer Auftrag von BSO, The Space Telescope Science Institute und NASA.

Auf dem Programm stehen mein neues Stück und Mahlers 2. Sinfonie. Bei dem Konzert würde es darum gehen, in jeder Hinsicht nach oben zu schauen: buchstäblich, bildlich und geistig.

Ich hatte das Gefühl zu fliegen, zu schweben, und mein Kopf und mein Herz sprudelten über vor Ideen, was ich mit der unglaublichen Klangmaschine des BSO machen könnte.
Nun, die Pandemie hat alles verändert. Sowohl das Programm mit Mahler als auch der Start des Teleskops wurden verschoben. Die Pläne änderten sich, und ich war immer noch so glücklich zu wissen, dass mein Stück trotzdem uraufgeführt werden würde, wenn auch in einem völlig anderen Kontext.
Ich wollte an dem faszinierenden Thema des Blicks nach oben festhalten, das mich inspiriert hat. Ich hatte bereits mit meinen Recherchen begonnen und unter anderem einen Studiengang in Astronomie belegt. Ich hatte bereits eine ganze Reihe von Büchern gesammelt und war begierig, noch mehr zu entdecken.
Und Mahler ließ mich nicht mehr los. Seine Musik inspiriert mich seit meiner Jugend bis zum heutigen Tag. Und so beschloss ich, dass er irgendwie in meinem Stück präsent bleiben musste.

Im Laufe meiner Recherchen stieß ich auf viele poetische, wissenschaftliche und historische Texte. Ich sammelte Bilder, reale und fiktive, aktuelle und alte, und entdeckte die großartige Geschichte von Julio Cortazar, „Los limpiadores de estrellas“ (Die Sternenputzer), die zur Hauptinspiration für das Stück wurde. In dieser Geschichte stehen die Sterne den Menschen nahe, in einer erstaunlichen Verbindung, in der sie kommunizieren und mit Licht und Dunkelheit spielen. Der Schriftsteller Julio Cortazar hat einen wunderbaren Humor und ein Talent dafür, aus dem banalsten Gegenstand (einer Kiste voller metallischer Sternputzer) die stärkste poetische Atmosphäre zu schaffen, in der alles zusamm men existieren kann: Banalität, Komik und Freude, magische Metaphern und sogar einige politische Aussagen.

Und so ist dies ein Stück über Sterne, von denen, die wir an einem Nachmittag auf der Straße finden können, bis zu denen am Himmel. Aber dieses Stück handelt auch von den Sternen in meinem Leben: Sterne, die meinen kreativen Weg inspirieren und begleiten. Sterne, Wind, Himmel, Firmament, Sternenstaub, Reflexion und Leuchtkraft, Dunkelheit, Feuer … und Erinnerung, sehnsüchtige Erinnerung, Mahlersche Erinnerung.

Die Farben der Elektronik und der Instrumente

Ich bin ein Komponist, aber auch ein Improvisator, und ich komme aus der Welt der Elektronik, die für mich eine Art „Muttersprache“ ist, die ihre eigenen Klänge und Texturen hat.

In diesem Stück verwende ich die menschliche Stimme, genauer gesagt die Sopranstimme von Barbara Hannigan, die singt, spricht, atmet und auch improvisiert. Da wir schon seit einigen Jahren befreundet sind, begann unsere Zusammenarbeit an diesem Stück während der Pandemie, in der Barbara als Dirigentin und Sängerin intensiv an Mahlers vierter Symphonie arbeitete. Wir sprachen oft über Mahlers Idee von „Das Himmlische Leben“, und Barbara schickte mir viele Aufnahmen, die sie beim Üben des Stücks gemacht hatte, sowie abstraktere Klänge und ihren Atem. Unser Austausch erstreckte sich über Monate, und schließlich trafen wir uns im April 2021 in ihrem Haus in der Bretagne, um gemeinsam Aufnahmen zu machen und zu improvisieren, endlich persönlich. Wir sind auch ans Meer gefahren und haben ihre Stimme mit dem Wind und den Wellen aufgenommen.

Die Inspiration für die Elektronik in Star Washers besteht darin, die Stimme als „mysteriöse Erscheinung“ einzubringen, wie eine Stimme aus dem Weltall, mit der wir noch keinen Kontakt hatten.
Die Stimme ist manchmal sehr präsent und manchmal versteckt, vielleicht ein bisschen wie die Band aus dem Off „da lontano“ in Mahlers 2. Und vielleicht auch ein bisschen wie der versteckte Chor, den Gustav Holst in „Die Planeten“ verwendet.

Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, die Lautsprecher außer Sichtweite der Zuhörer aufzustellen. Mein Wunsch ist es, die Lautsprecher und die gesamte Maschinerie zu verstecken, so dass die Stimme und die Elektronik ein geheimnisvoller und verborgener Teil des Universums sind.

Was die Form des Stücks und das Zusammenspiel der Klangmaterialien angeht, habe ich mich von den Gemälden von Pierre Soulages und seinem Konzept des Outrenoir inspirieren lassen, bei dem die Farbe Schwarz notwendig ist, um das Licht zu reflektieren. Die Farbe ist das „Andere“ und die Wahrnehmung des Lichts schafft Chaos und Ordnung, wie in der Natur. © Texte: Angélica Castelló



Angélica Castelló (*1972)
Star Washers, for orchestra and electronics (2020/21)

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Marin Alsop, conductor

Austrian Première, 03 November 2022, Wien Modern ’22

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