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Pop-Anthologie (125): „Das große Regenlied“ Jan Wiele über Lhasa de Sela

Diesen gestrigen Beitrag von Jan Wiele haben sehr viel gelesen. Sie alle wollen wissen, was es damit auf sich hat: „Aber vergessen kann man die Platte, die Stimme und insbesondere das Lied des großen Regens nie wieder, es bleibt einem für immer.“ Die Sendungen über Lhasa de Sela sind später zum Nachhören online.

Es ist Nacht in der Stadt, und es gluckert, rieselt und rauscht von überallher: „De Cara a la Pared“ von Lhasa de Sela erinnert daran, welche unfassbare emotionale Kraft die Stimme dieser zu früh gestorbenen Sängerin hatte.

Viele Lieder handeln vom Regen, aber manche werden darüber hinaus mit theatralischen Mitteln zu regelrechten Regen-Dramen. „Riders on the Storm“ von den Doors etwa, mit seinem Wolkenbruch, in dem der killer on the road sein Unwesen treibt. Oder „November Rain“ von Guns n‘ Roses. Oder das Signaturstück der Weather Girls, die den Himmel verbiegen, dass es kracht. Oft verbindet man auch eine spezielle Erinnerung damit, wie und wo man das gehört hat. Manchmal täuscht einen auch die Erinnerung: Hört man nun den Regen in Tony Joe Whites „Rainy Night in Georgia“, oder bildet man ihn sich nur ein?

Ein solches Regenlied ist „De Cara a la  Pared“ von Lhasa de Sela. Der Titel bedeutet „Mit dem Gesicht zur Wand“, und es weckt in den kurzen, aber rätselhaften Strophen schillernde Assoziationen. Wer steht mit dem Gesicht zur Wand? Trauernde. Scheue. Oder auch Hinzurichtende.

Llorando
De cara a la pared
Se apaga la ciudad

„Weinend / Mit dem Gesicht zur Wand / Die Stadt macht dicht“: Aber aus der schwarzen Nacht erhebt sich die unglaubliche Stimme von Lhasa de Sela, nach einem Oktavsprung sofort wieder abstürzend, dabei das Sonore und Rauhe hervorkehrend, dass sie so charakteristisch macht. Sie singt Spanisch, es ist Flamenco-Schmerz darin zu hören; die Musik erinnert aber eher an portugiesischen Fado. Und sie hat auf sonderbare Weise auch einen Country-Rhythmus, der an sehr langsam reitende Pferde, vielleicht auch eher Kamele denken lässt. Seltsame Mischung. Es geht eine Karawane durch die Regennacht.



© FAZ, Feuilleton, 2.9.2021

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