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Sean Baker: An den Rändern der Gesellschaft

Karsten Munt (Filmdienst) über die Filme von Sean Baker, dessen neuer Film „Anora“ in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde.

Der US-Amerikaner Sean Baker dreht seit fast 25 Jahren Filme über die sozialen Randgebiete seines Landes, in denen er mit großer Zuneigung Figuren aus dem gesellschaftlichen Abseits porträtiert. Mit seinem jüngsten Film „Anora“ hat er beim Filmfestival in Cannes soeben die „Goldene Palme“ gewonnen. Diese Ehrung gilt einem der konsequentesten US-Independent-Filmemacher, der von Armut, Migration und Sexarbeit erzählt, ohne diese für Elendsgeschichten auszuschlachten oder sentimental zu verbrämen.



Alexandra singt. Doch ihr Auftritt, für den sie den ganzen Tag mit Flyern geworben hat, findet kein Publikum. Einzig ihre Freundin Sin-dee und die von ihr mit in die Bar geschleifte Nebenbuhlerin besetzen eine der verwaisten Sitzbuchten. Die Stimme der Freundin bringt für einen Moment Frieden in die auf Krawall gebürstete Zwangsgemeinschaft. Und doch ist das, was auf der Bühne passiert, kein Highlight im dramaturgischen Sinne. Der Auftritt verzaubert keine Fremden; er spitzt den Film nicht zu und bringt dem Weihnachtstag, den die Freundinnen auf dem glühenden Asphalt des Straßenstrichs verbracht haben, weder ein glückliches noch ein unglückliches Ende. Alexandras Stimme verhallt. Der Moment verfliegt. Das Trio verlässt die Bar. Der Abend geht weiter.



© Filmdienst, 27.5.2024

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