Gründungsmitglied Stephan Mai verlässt Akamus – nach 40 Jahren. Was ihn heute nervt, was er jederzeit wieder spielen würde und warum er bei Händel im Radio abschaltet. Hartmut Welscher im Interview mit Stephan Mai für das VAN Magazin.
Letztes Jahr feierte die Akademie für Alte Musik Berlin ihren 40. Geburtstag und eine musikalische Erfolgsgeschichte, die in ihrer Kontinuität und Strahlkraft ziemlich einmalig ist. Ohne Stephan Mai, den Gründer und ersten Konzertmeister des Ensembles, gäbe es Akamus wohl nicht – und die Stadt Berlin wäre um ein nationales wie internationales Aushängeschild ärmer. Anfang des Jahres, beim Neujahrskonzert mit dem RIAS Kammerchor und Händels Judas Maccabaeus, spielte Mai sein letztes Konzert mit seiner Akademie. »40 Jahre Akamus, das waren auch 40 Jahre mit Stephan Mai, diesem Anstifter und Anführer, diesem Konzertmeister im wahrsten Sinne des Wortes«, schreibt Wolfgang Thierse in einem Abschiedstext im Programmheft. Die beiden lernten sich beim Spielen mit ihren Kindern in einem Sandkasten auf dem Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg kennen, erzählt mir Stephan Mai, als ich ihn vier Wochen nach seinem Abschiedskonzert in seiner Wohnung in Berlin-Mitte treffe.
VAN: Fiel Ihnen das Abschiednehmen schwer?
Stephan Mai: Ach wo, das war auch eine Befreiung. Der Abstand ist schon lange da. Das ist ein Prozess. Ich war nach dem Konzert richtig froh, der letzte Rest einer Belastung ist heruntergerutscht.
Sie haben 2012 in einem Fragebogen auf die Frage, bei welcher Musik Sie sofort das Radio abschalten, geantwortet: ›Händel‹…
Ja, mach ich heute noch so.
Jetzt mussten Sie ausgerechnet mit Händel Ihr letztes Akamus-Konzert spielen.
Ich habe natürlich immer viel Händel gespielt. Aber ich bin Leipziger, da gab es unter Musikern den Spruch: ›Schütz Bach vor Händel‹. Das war aber nicht schwierig, weil Händel dort sowieso gar nicht vorkam. Selbst bei den Thomanern nicht, mit denen ich aufgewachsen bin. Nicht einmal der Messias. Wenn ich dann im Radio mit Händel konfrontiert wurde, war das immer eine Enttäuschung.
Ihr Interesse für ›alte Musik‹ kam von Bach?
Ganz genau, das ist auch so geblieben. Ich war zwar nie Thomaner, aber mein Vater hat mich immer mitgenommen zu den Kantaten und Motetten in der Thomaskirche. Nach meinem Studium in Leipzig bin ich 1976 vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin engagiert worden. In der Freizeit traf ich mich aber mit ehemaligen Kommilitonen, die mittlerweile beim Rundfunk, der Komischen Oper oder Staatskapelle spielten, um eben diese Musik zu spielen, die ich schon als Student so geliebt hatte. Das war zu Beginn gar nicht Bach – du kannst ja nicht sofort die Brandenburgischen Konzerte machen, das ist viel zu kompliziert – sondern Händel, Concerti Grossi, oder Telemann.
© VAN Magazin, 25.1.2023