Musiktipps

Zeit Online: Jens Rachut – Im Gehölz

Jens Rachut ist der letzte echte Punk Deutschlands und wird von vielen namhaften Künstlern verehrt. Nun hat er ein Buch veröffentlicht. Ein Treffen in seiner Waldhütte. Von Andreas Bock

Jens Rachut hat mal ein Lied geschrieben über Holzfäller, die behaart sind wie Humanoide und schlechte Zungen haben. Er singt darin: „Ich heiß‘ Jensen und bin Gefangener im Gehölz.“ Und es geht gar nicht anders, genau an diesen Song muss man denken, wenn man zu ihm fährt.

Von Hamburg sind es etwa 45 Minuten Richtung Süden, nach der Autobahnabfahrt geht es durch die Nordheide. In der Umgebung liegen Orte, die wie nie gegründete Bands von Rachut heißen: Sprötze, Ekelmoor, Schneckenstiege. Irgendwann biegt man links ein, immer tiefer hinein in den Wald, dann ein Weg, dann noch mal 200 Meter und wieder rechts. Schlaglöcher, die so groß sind, dass man vielleicht darin einen Panzer abstellen könnte. Zwischen Nadelbäumen, etwas versteckt, parkt ein alter Wohnwagen, es steht kein Mann mit einer Schrotflinte davor, aber er könnte dort stehen. Dann ein Häuschen, eine Art Datscha, aus dem Schornstein kommt Rauch. Ein Bild wie aus einem Märchenfilm aus der UdSSR.

Jens Rachut spielt Gustaf im Filmprojekt Hölle Hamburg

Hier also, wo auch sonst, wohnt Jens Rachut. Musiker, Dichter, Schauspieler, Fußballfan, derber Typ.

Rachut ist eine der zentralen Figuren der Hamburger Musikszene. Seit Anfang der Achtziger singt, bellt und schreit er in Bands, die im weitesten Sinne Punk machen, aber so gar nichts mit Deutschpunk zu tun haben. Seine Musik veröffentlicht er fast nur auf Vinyl in kleinen Auflagen bei kleinen Labels. Seine Bands sind das Gegenteil einer Unterhaltungsindustrie, die auf Galas ein neues Wir-Gefühl feiert und Preise vergibt mit Titeln wie „Rock/Pop National“.

Sie sind frei von Perfektion und Ehrgeiz, und vielleicht klingen sie deshalb so lebendig und poetisch. Schon die Namen seiner Gruppen möchte man am liebsten sofort irgendwo hinmalen, nicht unbedingt groß an die Hausfassade, eher klein auf einen Tisch oder in ein Notizbuch: Oma Hans, Dackelblut, Blumen am Arsch der Hölle, Alte Sau oder Kommando Sonne-nmilch, klar, der Bindestrich steht bewusst an der falschen Stelle. Abgrenzung und Irritation war für Rachut immer wichtiger als das Dazugehören und die klare Aussage.

© Zeit Online, Kultur, 23.12.2020

https://youtu.be/xMcjf0FWSE0

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