Nachhören

Zum Tod von Wolfgang Rihm (2) „Nicht nur Fragmente“ Ein bruchstückhaftes Porträt

Der Komponist Wolfgang Rihm ist in der Nacht zum 27. Juli 2024 im Alter von 72 Jahren verstorben. Unüberhörbar war Rihms musikalische Stimme: Als „einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Komponisten der Gegenwart“, so formulierte es 2003 die „Ernst von Siemens Musikstiftung“, als sie ihn zu ihrem Hauptpreisträger kürte, habe er „mit unerschöpflicher Fantasie, vitaler Schaffenslust und scharfer Selbstreflexion (.) ein an Facetten reiches Ouvre geschaffen“. Von Walter Weidringer.

Unüberhörbar sind auch die Echos, die er im Musikschrifttum hervorgerufen hat: Über keinen lebenden deutschsprachigen Komponisten dürfte so viel geforscht, so viel geschrieben worden sein wie über ihn – die Tendenz war sogar noch steil ansteigend rund um seinen 70. Geburtstag im Jahr 2022.

Unüberhörbar ist Wolfgang Rihms Schaffen jedoch auch rein durch dessen Umfang: Wer könnte in einem Werkkatalog mit Einträgen jenseits des halben Tausends sich Rechenschaft ablegen über auch nur jedes bedeutungsvolle, jedes „große“ Stück, die meisten Querverbindungen, die deutlichsten Verwandtschaften? Wie der Fotoschnappschuss kann da auch ein gleichsam gemaltes Porträt im Radio, für die knappe Stunde von „Zeit-Ton“, nur radikal unvollständig und fragmentarisch bleiben. Interessant freilich, dass das Wort „Fragment“ ohnehin durch Rihms Ouvre geistert: in Titeln, Untertiteln, literarischen Vorlagen.

„Uns muß es schütteln vor Energie, oder wir müssen lautlos sein vor Leere, dann sind wir Komponisten“, schrieb der junge Wolfgang Rihm mit Emphase. 1952 in Karlsruhe geboren, wurde der Schüler von Wolfgang Fortner, Karlheinz Stockhausen und Klaus Huber Anfang der 1970er-Jahre zum profiliertesten Vertreter einer jungen Generation, die gegen die Vorgaben der seriellen und postseriellen Schule aufbegehrte: „Für mich ist Kunst eine andere Form von Atmung, von Hingabe, von Erschrecken und Umarmung und Schönheit und Furcht, von Erhabenem und Niedrigem in unauflöslicher Mischung.“

In Misskredit geratenen Kategorien wie „Gefühl“ und „Innerlichkeit“ verhalf der ebenso wortgewaltige wie tatkräftige Rihm in der Folge wieder zu Bedeutung – mit einer intuitiv-emotional wirkenden Tonsprache und mit besonderer Rücksicht auch auf die ältere Musikgeschichte. Etikettierungen wie „Neue Ausdrucksmusik“ oder „Neoromantik“ tat er freilich stets ab.

Anders als etwa bei Pierre Boulez, in dessen Schaffen verschiedene Werkfassungen zu einem idealen/ausgereiften Ziel fortschritten, generieren bei Rihm ältere Werke und Werkteile nach wie vor immer wieder neue, gleichberechtigte „Zustände“, in denen Früheres partiell „überschrieben“ und in neue expressive Zusammenhänge verwoben wird. (Wiederholung vom 14. März 2022)



© Ö1, Sound Art: Zeit-Ton, 30.7.2024

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Andreas Gryphius
Album: Vanitas – Georg Nigl singt Beethoven, Schubert & Rihm
* Nr.1 Maestoso sostenuto (Was ist diß Leben doch)
Textanfang: Was ist diß Leben doch, was sind wir, ich und Ihr? Was bilden wir uns ein! Was wünschen wir zu haben?
dies, dieß
Titel: Vermischter Traum – Gryphius-Stück für Bariton und Klavier
Solist/Solistin: Georg Nigl /Bariton
Solist/Solistin: Olga Pashchenko /Klavier
Länge: 01:00 min
Label: Alpha Classics ALPHA646

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Andreas Gryphius
Album: Vanitas – Georg Nigl singt Beethoven, Schubert & Rihm
* Nr.3 Grave, ma non troppo (Ich bin nicht der ich war)
Textanfang: Ich bin nicht der ich war, die Kräfte sind verschwunden
Titel: Vermischter Traum – Gryphius-Stück für Bariton und Klavier
Solist/Solistin: Georg Nigl /Bariton
Solist/Solistin: Olga Pashchenko /Klavier
Länge: 05:35 min
Label: Alpha Classics ALPHA646

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Titel: Jakob Lenz
Ausführende: Kammerorchester der Deutschen Oper Berlin
Leitung: Arturo Tamayo
Länge: 00:30 min
Label: Deutsche Harmonia Mundi

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Album: Wolfgang Rihm, Ensemble 13
Titel: Wölfli-Liederbuch
Solist/Solistin: Richard Salter
Ausführende: Franz Lang
Ausführende: Martin Rosenthal
Ausführende: Bernhard Wambach
Länge: 05:34 min
Label: Ensemble Musikprotuktion

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Album: WOLFGANG RIHM: CHIFFRE – ZYKLUS
Titel: Chiffre IV – für Baßklarinette, Violoncello und Klavier
Ausführende: musikFabrik
Leitung: Stefan Asbury
Länge: 08:46 min
Label: cpo 7771692 ( 2 CD )

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Friedrich Nietzsche
Gesamttitel: Salzburger Festspiele 2010/OPER Dionysos (SFHFM100727-1_S)
Titel: Dionysos/Szenen und Dithyramben/Eine Opernphantasie/URAUFFÜHRUNG
I.BILD. Ein See
1.TEIL. 1.+2.Bild (01:03:09)
Titel: (Saal 0.03) Klage der Ariadne
Titel: Das Feuerzeichen
Titel: 2.BILD. Im Gebirge
Titel: Der Wanderer und sein Schatten
Titel: Zwischen Raubvögeln
Titel: Die Sonne sinkt
Titel: Ruhm und Ewigkeit
Titel: Die Sonne sinkt
Leitung: Ingo Metzmacher
Orchester: Deutsches Symphonie Orchester Berlin
Solist/Solistin: Johannes Martin Kränzle /Bariton (N. = Dionysos)
Solist/Solistin: Mojca Erdmann /1.hoher Sopran (Ariadne)
Solist/Solistin: Elin Rombo /2.hoher Sopran
Solist/Solistin: Virpi Räisänen /Mezzosopran
Solist/Solistin: Julia Faylenbogen /Alt
Solist/Solistin: Matthias Klink /Tenor („Ein Gast“, Apollon)
Solist/Solistin: Uli Kirsch /Stumme Rolle („Die Haut“)
Chor: Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Choreinstudierung: Jörn Hinnerk Andresen
Leitung: Pierre Audi /Regie
Länge: 63:09 min
Label: DIGAS UE LEIHMATERIAL

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Album: „mehrere kurze walzer“ / Klavierduo Grau – Schumacher
Titel: MEHRERE KURZE WALZER für Klavier zu vier Händen
* 35. / Nr.8 Walzer in g-moll (00:54)
* schnell
Solist/Solistin: Andreas Grau /Klavier
Solist/Solistin: Götz Schumacher /Klavier
Länge: 00:56 min
Label: col legno edition WWE 1CD 20103 / Koprod. hr

Komponist/Komponistin: Wolfgang Rihm
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Antonin Artaud
Gesamttitel: Salzburger Festspiele 2010/KONTINENT RIHM Nr.1 (5.0)
Titel: Tutuguri/Poeme dansé/Ballett für großes Orchester, sechs Schlagzeuger, Chor vom Tonband und Sprecher (1980-1982) 1.TEIL
* (I.TEIL) 3.Bild. der Peyotl Tanz…die letzte Sonne…der schreiende Mann (00:25:00)
Leitung: Ingo Metzmacher
Chor: Chor der Deutschen Oper Berlin /vom Tonband
Solist/Solistin: Martin Grubinger jun. /Schlagzeug
Ausführende: Martin Grubinger
Ausführende: The Percussive Planet Ensemble :
Ausführende: Martin Grubinger sen. /Schlagzeug
Ausführende: Leonhard Schmidinger /Schlagzeug
Ausführende: Rainer Furthner /Schlagzeug
Ausführende: Sabine Pyrker /Schlagzeug
Ausführende: Slavik Stakhov /Schlagzeug
Ausführende: Rizumu Sugishita /Schlagzeug
Ausführende: Wolfgang Auinger /Schlagzeug
Ausführende: David Öhmer /Schlagzeug
Ausführende: Anton Gmachl /Schlagzeug
Länge: 75:58 min
Label: DIGAS UE LEIHMATERIAL Kleines Recht (wg Hörfunk)

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