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„PSALM / aus der tieffen“ von Ruth Benrath

Vor 500 Jahren hat Martin Luther die Bibel ins Deutsche übertragen. Besonderes Augenmerk richtete der Theologe auf das Buch der Psalmen: „Wilstu die heiligen Christlichen Kirchen gemalet sehen mit lebendiger Farbe vnd gestalt / in einem kleinen Bilde gefasset / So nim den Psalter fur dich / so hastu einen feinen / hellen / reinen / Spiegel / der dir zeigen wird / was die Christenheit sey“

 Ein halbes Jahrtausend später liest die Lyrikerin Ruth Johanna Benrath diese Spiegelbilder von Luthers Lebensende her: „Luthers letzte Sätze / fuchtelnde Handbewegungen über der Bettdecke / Seraphim, Cherubim / sammeln sich in der Zimmerecke“. Der Mund ist trocken, die Zunge steht in Flammen. Doch was ist geleistet, was ist erkannt? Wer kann den göttlichen Weg, diese „Irrfahrt“, verstehen, wer sie ohne Anmaßung in Worte fassen? Luthers Bilanz heißt: Demut. Eine Schlussfolgerung, die Benrath nur bedingt ins Heute verlängern will. Sich den Tonarten der Psalmen − Klage und Lobpreisung − anschmiegend sucht sie eine hinreichend brauchbare Position in der unbehausten Gegenwart: „Der Mensch ein Strich / in der Landschaft ein Punkt / ein Strichpunkt / ich / Pünktchen / Handschrift Gottes / Luft zwischen den Buchstaben / Atem“. Durch das Hörstück zieht die Frage, wie wir uns das Dasein tagtäglich übersetzen, uns ins Leben setzen.

PSALM / aus der tieffen
Von Ruth Johanna Benrath
Mit Inga Busch, Birte Schnöink und Ulrich Noethen
Regie: Stefan Kanis
Komposition: Dietrich Petzold
MDR 2022

© Bayern2, hörspielartmix, 2.12.2022

Ruth Johanna Benrath, geb. 1966, Autorin. Hörspiele u.a. Aus der Tiefe (RBB 2018), Geh dicht dichtig! Ein lautpoetischer Dialog mit Elfriede Gerstl (ORF/BR 2019, Hörspiel des Jahres 2019), Sprache, mein Stern. Hölderlin hören (RBB/BR/DKultur 2020), BLUME WOLKE VOGEL FISCH (MDR 2021).

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