MedientippsMusiktipps

Im Jazz wurden Rassismus und Segregation in den USA angeprangert. Gehört diese Musik deshalb allein den Afroamerikanern?

Von Ueli Bernays. Jahrzehntelang haben sich schwarze Musiker von der Bürgerrechtsbewegung inspirieren lassen. Das hat vor allem den rebellischen Tonfall des Free Jazz bestimmt, wie ein neues Buch zeigt, das allerdings ein paar erhebliche Schwächen aufweist.

Jazz ist ein Wunder. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist er im Schmelztiegel der USA als eine neue Musik aufgeblüht. Klänge und Rhythmen aus Afrika und Europa haben sich zu einem neuen Sound verfestigt, der zunächst in Bars und Bordellen für Tanz und Stimmung sorgte. In wenigen Jahrzehnten entwickelte sich Jazz auch in eine konzertante Kunstform, die zahllose Originale und Virtuosen hervorbrachte. Ihr Anspruch auf einen individuellen Tonfall hat für eine stupende Dynamik gesorgt.

Die eruptive Entwicklung des Jazz scheint rückblickend umso erstaunlicher, als es sich bei den stilbildenden Künstlern um Talente handelte, die selten von akademischen Institutionen profitieren konnten. Die mehrheitlich afroamerikanischen Männer waren dabei vom klassischen Musikbetrieb ebenso ausgeschlossen wie von den weissen Musikereliten. Der Verdacht liegt nahe, dass ihre Leidenschaft just in der Kränkung entbrannte, die ihnen das Establishment und der allgegenwärtige Rassismus bereiteten. Ihren Schmerz und ihren Zorn aber investierten sie in ihre musikalische Selbstbehauptung.



© NZZ, Feuilleton, 28.12.2023

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert