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Morgen 25.6.2024 20:10 Uhr Deutschlandfunk: „Rauschunterdrückung“ Ein Aufnahmezustand von Ulrich Bassenge

Oder „Vom Verschwinden der Musik“, Ulrich Bassenge über sein Hörspiel. JJ, Hannes, Georg, und Yogo – zusammen bilden sie die fiktive und namenlose Band des Hörspiels „Bier auf dem Teppich. Ein Menschenexperiment“ (WDR 2012) – kehren zurück, nach sieben Jahren wiedervereinigt in einem zum Abriss bestimmten Hörspielstudio; alive & kickin‘ selbst im Angesicht von Alter, Prekarisierung und Spotify.

Die Musiker mit den losen Mundwerken begegnen einem Produzenten, einer Influencer*in und einem Hausmeister / Studiobesitzer. Und natürlich hat sich das (fast) alles wieder echt so abgespielt. „Im Laufe dieser lustigen und manchmal schmerzhaften Geschichte erfahren wir, dass sich Menschen ändern und dass die alten Zeiten nicht immer die besten waren“, befand die Jury des Grand Prix Nova in Bukarest. Hörbar wird der raue Sound gesprochener Sprache, die süddeutsche / amerikanische Dialekt- und Akzentpalette ist diesmal um Farben des Hochalemannischen und Ripuarischen erweitert

Schon in den ersten Proben kristallisieren sich die Konflikte heraus. Zu tief sind die Gräben zwischen Kunstanspruch und Kommerz. Der Zahn der Zeit nagt: nicht nur am Selbstwertgefühl und den materiellen Existenzen, sondern auch an der psychischen Belastbarkeit der Bandmitglieder. Obendrein torpediert der merkwürdige Studiobesitzer Stauffer eine konstruktive Arbeitsatmosphäre. Dann betritt noch Influencerin Mona als Agentin der Plattenfirma das Parkett und die Ereignisse überstürzen sich.

„Diese verführerische Komödie, die aus der Improvisation entwickelt und gekonnt zu einer dreiaktigen Erzählung über die Kommerzialisierung von Kreativität montiert wurde, kombiniert Lauschangriffs-Aufnahmen, bizarre Wendungen, fantastisch prätentiöse Songtexte und perfekte Darbietungen. Die Jury war vom Prozess inspiriert und vom Ergebnis beeindruckt.“ (Urteil des BBC Audio Drama Award)

Das Stück gewann den Grand Prix Nova 2019 und wurde 2020 zum Best European Drama bei den BBC Audio Drame Awards gekürt.

Ein schnelles PS sei mir noch erlaubt:

Die bedrohliche Unterströmung dieses Hörspiels heißt Obsoleszenz. Alle sind betroffen: Medien, Produktionsmittel, Arbeitsmethoden, Künstler, Kunst geraten schleunig aus der Mode, während sie vom Konzernkapitalismus (und seinem neuen mächtigsten Werkzeug, der Künstlichen Intelligenz) zum Lifestyle-Hintergrundrauschen formatiert werden. Ist das Kunst oder kann das weg? Man möchte sagen: beides.

Die Metapher des im Abriss befindlichen Hörspielstudios war prophetisch, denn die Kunstform wurde inzwischen erfolgreich von der ARD abgewrackt, wie schon in den Jahren davor europaweit geschehen. Zumindest hatten wir im historischen Tonstudio 3 des WDR die beste Zeit inmitten des Untergangs. Und unser Herzblut floss in den Abgesang einer Ära.

Ulrich Bassenge

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