Mit „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ schuf Marcel Proust ein Jahrhundertwerk – auch wenn es zunächst niemand verlegen wollte. Darin erforscht er das Wesen der Erinnerung selbst und verarbeitet zugleich sein eigenes Leben.
„Als ich das Schloss umrundet hatte, fand ich ihn an derselben Stelle wieder, den Blick auf die Rosen geheftet. Mit geneigtem Kopf und ernstem Ausdruck kniff er die Augen zusammen, die Augenbrauen leicht hochgezogen wie bei angestrengter leidenschaftlicher Aufmerksamkeit, während er mit seiner linken Hand beharrlich das Ende seines kleinen schwarzen Schnurrbarts, an dem er kaute, zwischen seine Lippen schob.“
Eine Erinnerung von Reynaldo Hahn an den zwanzigjährigen Marcel Proust. Auch Jahre später noch wird der Komponist immer wieder Zeuge der tranceartigen Zustände, in die sein Freund mitten im Alltag beim Betrachten von Natur und Kunst geraten konnte. Prousts siebenbändiges Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist das Ergebnis seiner Kontemplationen. Tief lauschte er in Rosen, Kunstwerke – und Menschen hinein. „Der Roman ist eine Feier der Beobachtungsgabe, sowohl für Formen der Natur als auch für Formen des Gesellschaftlichen“, sagt Ulrike Sprenger, Literaturprofessorin in Konstanz, die seit über 25 Jahren zum Werk von Marcel Proust forscht und publiziert.
Deutschlandfunk, Lange Nacht, 12.11.2022