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„Austern und Aura“ Einige Zutaten zu einer Philosophie des Fressens von Andreas Ammer

Die Frage „Wer was isst?“, ist von Anbeginn der Kultur an identitätsstiftend: Juden und Moslems keine Schweine, Hindus hingegen keine Kühe, Europäer keinesfalls Katzen oder Hunde, selten nur Pferde, Asiaten gerne mal Insekten, angeblich auch Affen, nur Norweger, Isländer und Japaner essen Wale … und bestimmte Menschen nur in den aller seltensten Ausnahmefällen andere Menschen.

Die Speise hilft auch, soziale Schichten zu definieren: Gutes Essen ist das neue Statussymbol, es schaffen Differenzierungen zwischen den Schichten. Auf der einen Seite die Globalisierungsgewinner: der Hamburger (den es in Deutschland erst seit den 70er Jahren gibt) oder die Pizza (die die Nazis nach Deutschland gebracht haben). Auf der anderen Seite die immer spezieller werdenden Köche mit ihren molekularen Chemiesets oder den lokalen Algen, Pilzen und Ameisen. Köche, die gerne einmal Gott spielen und – so wie der ehemals beste Koch der Welt Massimo Bottura in Bologna – einfach mal eine Auster aus anderen Zutaten nachbauen (Halbgötter, von denen Normal-Sterbliche nur aus dem Fernsehen wissen).

Die Trivialkultur hat derart nachgezogen und das Essen zum Leitmedium erhoben: Die Kochshow ist das verblüffendste Showkonzept des Jahrtausends. Sie bastelt an der Phantasmagorie des perfekten Essens (das doch nie jemand daheim nachkochen wird).
Es wird Zeit, dass das kreatürliche Phänomen der Nahrungsaufnahme auch theoretisch durchdrungen wird. „Austern und Aura“ von Andreas Ammer liefert dazu erste, wohlschmeckende Zutaten.



© Bayern2, Nachtstudio, 6.4.2021

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