Henning Bolte Release Tipp: The Killing Popes – „Ego Kills“ Shhpuma / Clean Feed SKU

2 begeisterte Reviews in salt peanutes*, dazu noch der Tipp in den Jazzfacts vom 1.7.2021 von Thomas Loewner. Ja und auch ich bin hellauf begeistert von dieser Veröffentlichung. Dafür habe ich das Review von Henning Bolte übersetzt und dann bleibt nur noch anhören!

Was steckt im Namen der Gruppe? Päpste: töten sie, töten sie, oder werden sie selbst getötet? Eine Zweideutigkeit bleibt hier offen.

Der Berliner Schlagzeuger Oliver Steidle hat eine bemerkenswerte, verblüffende Art, Rhythmuspatterns aufzufächern, zu überlagern und zu überblenden, sie als Schiebeplatten und wendige Drehteile zu betreiben und so kaleidoskopische hyper- und surrealistische musikalische Szenerien zu erzeugen, Szenerien von reicher Phantasie, gewürzt mit einer guten Dosis Humor. Linearität wird darin weitgehend aufgelöst. Realitätspartikel werden zerstreut und sind gleichzeitig durch einen unerbittlich tickenden Beat fest miteinander verbunden. Es gibt keine langweiligen Momente, stattdessen tun sich ständig neue Überraschungen auf. Durch seine Klarheit, Kontrolle und Konsequenz wirkt es nie überladen, sondern wie ein befreiendes Wunderland, das die gegenwärtigen Albträume des Alltags austreibt. Instrumente wie Keyboard, E-Gitarre, Saxophon, E-Bass-Gitarre bilden ein eigenes rhythmisches Muster, das gegen das rhythmische Muster des Schlagzeugs schwankt oder sich mit ihm überschneidet. Denken Sie an Conlon Nancarrow, Steve Coleman und Kraftwerk. Eine gängige Rollenverteilung ist hier also nicht mehr am Werk.

Dies bietet einen reichhaltigen und höchst agilen generativen Rahmen für die Aufnahme einer Vielzahl von eindringenden, einsickernden, aufquellenden, verschwimmenden, trübenden und flirrenden Teilen sowie auftauchenden Klängen als wehende Fanfarenriffs, unterschwelliges Murmeln und Flüstern im Unterstrom. Die tief sitzende Art und Weise, wie Steidle die Musik aus und gegen Hintergründe reduziert und auffährt, erinnert zuweilen an Tom Zé, und die auftauchenden, aufblitzenden Motive und Riffs tragen unleugbar Monk-Merkmale.

Dieses generative Gerüst ist aus der fruchtbaren Zusammenarbeit von Oliver Steidle und Dan Nicholls entstanden, ein echter Glücksfall, der eine grandiose Produktivität hervorbringt (ich hatte das Glück, ihn zuerst in der Konfiguration Three Trapped Tigers beim Punkt Festival 2012 in Kristiansand zu sehen). Keyboarder Nicholls fungiert sowohl als mitwirkender Musiker als auch als visionärer Produzent, der vor allem dafür sorgt, dass die Stärken und die Magie von Steidle und den anderen beteiligten Musikern – einer ziemlich potenten Crew – voll zur Geltung kommen: Frank Möbus (el-g), Phillip Gropper (sax) Phil Donkin (el-b), Jelena Kuljic (voc, sampling) und Nathalie Sandtorv (voc, sampling). Doch was für Welten entstehen in dieser alchemistischen Brutstätte? Welche Temperamente, Stimmungen, Gemütszustände und Befindlichkeiten zaubern die Musiker hier hervor? Da gibt es die hüpfende Space-Odyssee von „Bling Bling Frog“, den schrägen Pogo-Space von „Fuck„, das subaquatische Getümmel/Turmoil von „Chthulu“, die Geisterlandschaften von „Human Nature“, das Durchdrehen von „King of Soap“, den glorifizierenden Touch von „Long Live The Popes“. Als verrückte Klangmagier durchqueren The Killing Popes diese unternehmungslustige Vielfalt an Zonen.

Es ist ein ganz eigenes Universum nicht nur von Klängen, die die Päpste beschwören. Es ist ein Universum, das mit mythischen Kreaturen belebt ist, die die Musik inspirieren und auch in und durch die Musik agieren. Kurzum, als Päpste nehmen sie sich die Freiheit, ihre eigenen Gottheiten zu beschwören und sie inmitten der Schrecken, des Ekels, des Chaos, des Geschwafels, der Pompösität, der Großartigkeit und der Freude des Alltags zu feiern. Es ist eine transzendentale Haltung und Qualität, die es ermöglicht, einige befreiende Zonen zu betreten und zu gestalten Es ist eine transzendentale Haltung und Qualität, die es ermöglicht, einige befreiende Zonen zu betreten und zu gestalten (und das Pontifikale zurückzulassen). Es ist keine Gespensterei um ihrer selbst willen, keine eitle Spielerei. Es ist auch kein wortreicher Botschaftskram. Es ist Musik mit einem Anliegen … und eine Antwort auf die Frage, wie sich Musik und Musikmachen zu sozialen und politischen Realitäten verhält.

Der größte Teil der Stücke wurde von Steidle/Nicholls eingerichtet, während Track 4, 8 und 9 in Kombination mit den anderen Musikern entstanden sind. „Bling Bling Frog $>“, das zweite Stück, zeugt von der vielseitigen Navigation durch eine Vielfalt und Heterogenität von Quellen (hervorragend eingefangen im Titelbild von Travassos), während das Intro „Disclaimer“ den Hörer auf eine kurze, recht introvertierte Seite führt. Ein Verharren oder Versinken in Kontemplation gibt es in der Musik dieses Albums jedoch nicht. „Butcher“ unterstreicht diese Eigenschaft durch seinen Sound-Splice. „My Life Is Not Your Game“ ist ein ungewöhnliches Vokalstück auf einen Text von Jelena Kuljic, eine Art spannendes Hörspiel (in deutscher Radiotradition) mit subaquatischen Phantomstimmen (klingt auch ein bisschen wie Walmusik) und Sprechgesang – sehr erfrischend und fesselnd. „Hi Five“, der fünfte Track, beginnt mit schwammigen Synthie-Washes, durchdringenden Gitarren und führt dann ein Grundmuster ein, das erstaunlich spielerische und amüsante Variationen durchläuft. Das Beatmuster wird hier nie totgeritten, Wiederholung und Variation stehen hier in großem Wechselspiel. Ja, die Beats sind der zeitgenössischen populären Musik entnommen, aber es gibt keinen Fake oder übereifrigen Fusionsversuch, hey-hey, es wird alles für die ganz eigene Ausdrucksweise der Pops verwendet.

„Chthulu“, ist eine hüpfende, sprunghafte Angelegenheit mit reichlich flackernden Weltraumklängen (siehe den Video-Link unten). Das Video (von Louise Boer) definiert Chthonische als „Wesen der Erde, sowohl uralt als auch hochaktuell“. Sie stellt sich die Chthonischen als „vollgestopft mit Tentakeln, Fühlern, Fingern, Schnüren, Peitschenschwänzen, Spinnenbeinen und sehr widerspenstigem Haar“ vor – eine biologisch hyperhybride Kreatur von erstaunlicher Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit also. Das Wesen leitet sich von altgriechischen unterirdischen Chthon-Gottheiten und -Kulten ab. So kann „Chthulu“ als ein paradigmatisches Stück betrachtet werden, das visuelle, musikalische, biologische, spirituelle und gesellschaftliche Aspekte vereint.

„Legitimacy Loop“ ist ein großartiger kurzer rasselnder Auftakt zu „Fuck„, der mit seinen vergrabenen und abgeschnittenen Vocals (von Nathalie Sandtorv) und Saxofonfetzen die Vorstellung eines schrägen Pogo-Raums evoziert. Stellenweise klingt es wie ein Ian Dury Stomp und in anderen Momenten wie eine dumpfe Version von Die Antwoord. „Human Nature“, auf einen Text von Emma Goldmann, ist mit seinem Flüstern, den aus dem Nebel auftauchenden Saxophonklängen und den umherwandernden Geisterstimmen eine Art ‚Ghostscape‘. Es erinnert ein wenig an Laurie Anderson.
„King of Soap“ ist ein sehr agiles, aufgewühltes und turbulentes Stück mit mächtiger Beckenarbeit auf einen Text von Jelena Kuljic („My brain is melting …“). Es ist ein Stück, das gegen die Selbstgefälligkeit aufbegehrt. Alle drei Vocal-Tracks haben einen außergewöhnlichen Touch und fallen nicht in gängige Muster. Das abschließende „Long Live The Popes“ ist ein weiteres Beispiel für die Cut-Up-Technik von The Popes mit abgeschnittenen Sounds. Ausgehend von entfernten Klangechos und Glitches geht das Stück bald in einen mächtigen Sly Stone-Funk-Rhythmus über, der einen Stevie-Wonder-Superstition-Groove zum Ruhme der Popes heraufbeschwört.

„Ego Kills“ ist ebenso verstörend, beunruhigend wie unterhaltsam, rau wie raffiniert, unterminierend wie kreativ konstruktiv. Es macht Wendungen und Verzweigungen, überlässt aber viel seinen Hörern. Die erwähnten Assoziationen zu bestehenden Musikstücken sind persönlich. Für andere Hörer mag die Musik andere Assoziationen eröffnen. © Text: Henning Bolte



released June 18, 2021

OLI STEIDLE . drums, percussion, marimba
DAN NICHOLLS . production, keyboards, bass, sampling

Featuring:
JELENA KULJIC . voice, sampler
PHILLIP GROPPER . saxophones
FRANK MÔBUS . guitar
PHIL DONKIN . bass
NATHALIE SANDTORV . voice (track 8)
LIV NICHOLLS . backing vocals

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