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Hiromi Itō: Der Tod und wie man ihn durch die Bearbeitung des Lebens verhindert

Eine Begegnung mit der japanischen Lyrikerin und Romanautorin Hiromi Itō in Berlin. Eine Rezension von Katharina Teutsch.

Hiromi Itō ist in Japan seit den späten Siebzigerjahren eine Ikone der feministischen Underground-Lyrik. Sie schrieb über Masturbation, zwei Jahre bevor Yoko Ono auf John Lennons Double Fantasy-Album einen Orgasmus vortäuschte. Sie schrieb über Menstruation und Magersucht, über Dammschnitt und Depression. Später dann über das Altern – erst das von Angehörigen, dann das von Haustieren und schließlich über das eigene. Und über den Tod, über den schreibt sie eigentlich permanent. Er ist immer dabei in Gestalt von Hinfälligen. Auch japanische Geister bevölkern Itōs Bücher, so selbstverständlich wie Familienangehörige, Freunde oder Nachbarn.

Zu ihrer radikalen Offenheit hatte sie sich in den Siebzigerjahren von der Tokioter Hippieszene inspirieren lassen. Es sei eine wilde Zeit gewesen, sagt Hiromi Itō. Voller Selbsterkundungen und notorischer Abstoßungen. „Waren Sie ein Star?“, will ich von ihr wissen. „Ich war jung, süß, schlank, und ich warf mit schmutzigen Wörtern um mich. Natürlich war ich ein Star!“ Die fast siebzigjährige Itō schaut lächelnd unter einer immer noch erstaunlich schwarz gelockten Haarmähne hervor – anscheinend ohne eine genaue Vorstellung von diesem Treffen mit einer deutschen Literaturkritikerin zu haben, die sie erst für eine Kollegin hält und deren journalistische Absichten sie später mit einem höflich erstaunten „Oh! Oh!“ quittiert. Darauf ein entwaffnender Kinderblick mitten ins Gesicht. Er soll bedeuten: Ich soll reden; sie hört zu. Also sage ich etwas überstürzt, ihre Literatur sei für mich das Resultat einer chaotischen Kochshow, in der mit Gewürzen hantiert werde, die mir zum Teil unbekannt, zum Teil bekannt seien und die zusammen etwas eigenartig Unumgängliches ergäben. „Oh! Oh!“, sagt Hiromi Itō erfreut. Und dann sagt sie: „Come and sit at my table.“



© Zeit Online, 8.7.2024

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