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Im Ostblock war Kafka lange tabu – warum eigentlich?

Von Marko Martin. Im Kommunismus gab es die Bücher von Franz Kafka kaum zu lesen. Ab 1963 sollte sich dies ändern. Auf Schloss Liblice bei Prag diskutierten die Experten. Wie Kafka den Prager Frühling einläutete – und warum Anna Seghers vorzeitig abreiste.

Jemand musste Eduard G. verleumdet haben. Ähnlich wie einst Josef K. in Kafkas Roman „Der Prozess“ war der Germanist und Diplomat Eduard Goldstücker Ende 1951 in Prag verhaftet worden und geriet in das Räderwerk der stalinistischen Parteijustiz seines Landes. 1939 war er den Nazis nach Großbritannien entkommen und wurde nach seiner Rückkehr tschechoslowakischer Botschafter in Israel, ehe vom Kreml die antizionistische Kehrtwende befohlen wurde.

Zuerst Zwangs-„Zeuge“ im Schauprozess gegen den ehemaligen KP-Generalsekretär (und bis dato willfährigen Stalinisten) Rudolf Slánsky, wurde Goldstücker danach zu lebenslanger Haft und Strafarbeit in den Uranbergwerken verurteilt. 1955 rehabilitiert und an der Prager Karls-Universität bald ein renommierter Germanist, würde er diese Erfahrung totalen Ausgeliefertseins sein ganzes Leben lang nicht vergessen.



© Welt.de, 06/2024

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