Jochen Kleinhenz Best Of 2021

Jeder, der in den Randbereichen der Musik unterwegs ist und Musikmagazine wie Bad Alchemy, Testcard, oder eine Kulturzeitschrift wie „Nummer“ schon mal in der Hand hatte, wird Beiträge von Jochen gelesen haben. Über u.a. :Zoviet France, David Toop, The Hafler Trio oder empreintes DIGITALes hat er geschrieben. Seine Webseite Tricktaste kann ich nur wämstens Empfehlen.

Obwohl ich ein großer Freund von Listen bin, merke ich wieder einmal, dass diese Listen ja doch immer nur Momentaufnahmen sind – aber macht nicht genau das sie so spannend? Aktuell dominieren bei mir in der akustischen Sphäre mal wieder die Rhythmen – es gab Jahre, da hat es dagegen nur gezirpt und gebrummt, vielleicht auch mal gewummert, aber eher selten geklopft. Dann kommt hinzu, dass ich vermutlich ein Negativbeispiel der Art bin, wie sie Simon Reynolds in »Retromania« beschrieben hat: ein saturierter Herr »in seinen besten Jahren« (männlich und weiß), der sich bevorzugt Wiederveröffentlichungen der Wiederveröffentlichungen kauft …

… und ich merke auch, dass ich meine Sammlung (laut Discogs demnächst 6.000 Tonträger, davon die Hälfte 12“ Vinyl) nicht gleichberechtigt behandele: CDs besitze ich zwar, mag sie aber nicht und kaufe sie nur noch, weil und wenn sie ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis bieten (Scott Walker »5 Classic Albums« etwa, wo das grandiose Frühwerk für 15 Euro zu haben ist, während das Äquivalent in Neu-Vinyl locker das Zehnfache kosten würde). Und als jemand, der das Kassettenlabel The Tapeworm quasi komplett sammelt (ca. 150 Tapes bisher), könnte ich locker eine Liste nur von diesem Label machen und würde doch herumlavieren, was Aufnahme in die bzw. Ausschluss aus dieser Liste angeht.
Obwohl CDs (und Tapes) bei mir umgehend digitalisiert werden und so überall verfügbar sind, ist das Zentrum meiner Plattensammlung nach wie vor der Platz vor den beiden Plattenspielern, verfügen aktuell nur diese über die klangmäßig beste Abspielmöglichkeit, zählt eigentlich nur das Herausziehen der Platte aus Cover und Innenhülle, das Auflegen und Abspielen, das Wenden als »Musik hören« für mich. Alles andere ist bloß Hintergrundgeräusch meines Alltags, ob im Büro, bei der Hausarbeit, im Auto oder (mittlerweile sogar) auf längeren Radfahrten …© Jochen Kleinhenz

Für mich die beste Sault-Platte, die den Sound der anderen Alben stärker rhythmisiert und zuweilen sehr tribale Momente bietet. Insgesamt 5 Alben resp. 14 LP-Seiten zwischen Mai 2019 und Juni 2021, allesamt zuerst als freier, aber zeitlich beschränkter Download verfügbar, danach auf Tonträger erhältlich – die Veröffentlichungspolitik ist schon einzigartig (kein Streaming, soweit ich weiß). Von der Kritik zu Recht gefeiert, bieten alle Alben politisch aufgeladenen R&B (Oberbegriff) mit souligen wie funkigen Ausflügen, wobei letztere hier fast schon housig werden: Wie eingangs erwähnt sehr rhythmisch und percussionlastig (Strong, Fearless, I Just Want To Dance, Street Fighter, Free), dabei musikalisch ausgefeilte Themen- oder Rhythmuswechsel, auch in den langsameren Stücken (Son Shine, Uncomfortable, Little Boy), die gegen Ende sogar sehr düster werden können … all killer, no filler, und das in der richtigen Reihenfolge: Perfekt.



Zu Zappa komme ich immer wieder zurück – aktuell läuft diese mal wieder in heavy rotation. Ein musikalischer Meilenstein mit hervorragender Besetzung: Die grandiose Ruth Underwood, Napoleon Murphy Brock, George Duke als Gast … was sich auf „Roxy & Elsewhere“ in Live-Qualität bietet, wird hier im Studio verfeinert und ausgearbeitet, das beweisen bereits die fast neun Minuten des Openers „Inca Roads“. Don Preston fehlt auf diesem Album, aber George Duke am Synthesizer lässt mich das immer wieder vergessen. Und es fehlen die zotigen textlichen Provokationen, die Zappa woanders ausgearbeitet hat – souverän zwei Jahre zuvor auf „Overnite Sensation“ etwa –, die aber ab Ende der 1970er Jahre mit „Sheik Yerbouti“ und „Joe’s Garage Act I“ zum Megaseller wurden und leider auf späteren Veröffentlichungen an Penetranz zulegen, wie sie an Stringenz verlieren. Dieses Album präsentiert die Band musikalisch in Top-Form wie auch Zappa selbst – als Komponist, Arrangeur … und Texter („Po-Jama People“, „Sofa No. 2“).


Debut einer meiner bevorzugten Gruppen aus der elektronischen Tanz-Ecke (Breakbeat, mit sehr housigen Ausflügen Mitte der 1990er). Klingt heute immer noch erstaunlich gut dank einer gepflegten Rohheit – und niemand hat so tolle Stücke (wie der Titeltrack) aus cheesy Duran Duran-Samples gebastelt wie PJ und Smiley, die beiden Masterminds hinter diesem Projekt … und eine Prise Eurythmics ist hier auch dabei („Lamborghini“ Remix). Auch die Ragga Twins sind hier schon zu hören.


Schon länger digital in der Sammlung, nun also das frische Vinyl-Reissue: auf drei LP-Seiten gespreizt, mit vier bisher unveröffentlichten Stücken auf der vierten. Auf den 1992 verstorbenen Russell bin ich erst in diesem Jahrhundert aufmerksam geworden, und ich mag nicht alles gleichermaßen von ihm, aber diese Stücke sind mit Cello, Percussion, Stimme und Effekten für mich das Intimste und Faszinierendste, was ich von ihm kenne.


Musikalisch deutlich zugänglicher als die beiden Vorgänger.



Gerade noch rechtzeitig, um auf Bandcamp zumindest die zweite LP zu ergattern, wie die bereits vergriffene „No. 1“ auf 500 Exemplare limitiert. Salsburg improvisiert (meistens Gitarre) über Loops alter 78RPM-Schellacks. Sehr ambient.



Wie auf Salsburg und Sault bin ich auch hierauf im Zündfunk (BR) aufmerksam geworden – spannender Querschnitt durch das Oeuvre der mir bis dahin völlig unbekannten Gruppe um Plunky Nkabinde als personeller Konstante durch alle Spielarten hindurch, vom energischen Jazz bis hin zu funky Discosound. Über die sechs LP-Seiten der aktuellen Compilation dominiert eher der Groove – die konzentrierte Jazz-Dosis aus dem Jahr 1973, live in Ornette Coleman’s Galerie aufgenommen, bietet der Livemitschnitt auf vier Vinylseiten.



Wieder „all killer, no filler“, auch wenn das Debut dieser Engländerin erstmal beschaulich losgeht, danach aber ein Feuerwerk an Elektropunk abbrennt: Mit „Hippy Elite“, „No“ und „Forgotten Normal People“ finden sich Ihre heimlichen Hits alle auf der ersten Seite, doch auch alle anderen Stücke überzeugen, und „Wild Arena“ ist mein Liebling – auch, weil es musikalisch doch etwas aus der Reihe tanzt und klar cluborientiert ist. Quasi komplett alleine eingespielt, bei einigen Stücken mit etwas Unterstützung am Bass und am Schlagzeug (und mit Jason Williamson von den Sleaford Mods als Gastsänger auf „Supermarket Sweep“). Von der Nachfolge-EP „Emergency Telephone“ überzeugt aber nur noch der Titeltrack, die drei anderen Stücke wiederholen eher bewährte Muster des Albums. Da geht hoffentlich künftig noch mehr.



Alle Hits der Elektropunks: Jason Williamson fasst das beschädigte Leben wie sonst niemand in Worte, Andrew Fearn untermalt sie kongenial. Lohnenswert ist sicherlich, die beiden live zu sehen – es schwirren genug Videos ganzer Konzerte durchs Netz, auf dieser DoLP ist das live -zigmal bewährte Repertoire versammelt. Gehört in jede Sammlung.



Vini Reilly hatte ich schon kurz nach Erscheinen auf CD – die einzige Durutti Column-Platte, die ich überhaupt habe. Es finden sich ein paar Stücke mehr in meiner Sammlung auf diversen Compilations, aber die Alben haben mich leider nie überzeugt – bis auf dieses: Grandiose Mischung aus Gitarre und Elektronik, mit vielen Ohrwürmern dabei („Otis“, „They Work Every Day“, „My Country“).



Bertold Seliger hat ihn mir wieder in Erinnerung gerufen – eines der wüstesten Konzerte, das ich je erleben durfte, Ende der 1980er: Zwei Engländer, die sich vor versammeltem Publikum stundenlang durch unzählige Songs spielten und dabei Unmengen an Alkohol vernichteten. Auch ein toller Maler, wie ich mittlerweile weiß – diese Triple-LP fasst sein unüberschaubares Oeuvre recht kompakt zusammen.



Ganz große Stimme, sehr sympathischer Typ … als er zuerst mit den Fellow Travellers auftauchte, Anfang der 1990er Jahre, stand ich noch ein wenig auf der Leitung, was die Rezeption dieser (rückhörend) phänomenalen Combo mit ihrem Country-Reggae/Dub angeht. Hier die volle Breitseite Reggae, von Adrian Sherwood produziert. Schlägt nur um Haaresbreite sein „Parish Bar“-Album von 2008, das ihn allerdings deutlich facettenreicher zeigt …




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