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londonjazznews – Release Tipp: Aki Takase Japanic – ‘Forte’

Von Julian Maynard-Smith. „Japanic“ ist ein kluger Name für die jüngste Formation des Pianisten Aki Takase. Es ist ein plausibles Synonym für „japanisch“ (Aki Takase ist gebürtige Japanerin, lebt aber seit 1988 in Berlin), und es ist auch ein Wortspiel, das „Panik“ beinhaltet – ein treffendes Wort für die frenetische Verspieltheit dieses Albums und seines Vorgängers „Thema Prima“ (2019).


Als Hörer wollen wir in der Regel, dass eine Albumkritik die Fragen „Taugt es etwas?“ und „Wie ist es?“ beantwortet. Die Antwort auf die erste Frage lautet: „Ja, es ist großartig! Hört es euch an.‘ Die Antwort auf die zweite Frage ist schwieriger, aber die Besetzung gibt uns einen Anhaltspunkt: Aki Takase (Klavier), Daniel Erdmann (Tenor- und Sopransaxophon), Carlos Bica (Kontrabass), Dag Magnus Narvesen (Schlagzeug, Perkussion) sowie Gastauftritte von Nils Wogram (Posaune) und Pianisten-Ehemann Alexander von Schlippenbach, mit dem Takase schon oft im Duett gespielt hat. So weit, so konventionell (obwohl der stachelige Free Jazz eines typischen Takase/Schlippenbach-Duos selten konventionell ist). Ungewöhnlich ist jedoch die Hinzunahme von Vincent von Schlippenbach (Schlippenbachs Sohn) am Plattenteller.



Ein weiterer Hinweis auf dieses Album ist, dass einer von Takases frühesten Mitarbeitern (in den siebziger Jahren) John Zorn war. Das Anhören von Forte erinnerte mich an Zorns Album Spillane (1987), da beide Alben zwischen verschiedenen Musikstilen hin- und herspringen und musikalische Passagen mit Soundeffekten durchsetzen oder überlagern. Der letzte Track von Spillane („Forbidden Fruit“) ist ein frühes Beispiel für Turntablism und die Manipulation von Stimmsamples, und auch das ist auf Forte zu hören – aber zeitgemäßer in der Art, wie Schlippenbach fils Elemente des Hip-Hop in den Mix einbringt, zum Beispiel im rhythmischen Stottern der Stimmsamples auf „Step Skip Stop“, das auf ein Klaviersolo folgt, das an einen klassischen Avantgarde-Komponisten wie Ligeti erinnert. Das Turntablism ist so eindrucksvoll in die akustischen Jazzelemente integriert, dass man nur raten kann, ob die Effekte durch Nachbearbeitung oder spontane Improvisation mit dem Rest der Band entstanden sind.

Was die Beschreibung der musikalischen Stile auf „Forte“ angeht, so wird es schwierig, denn es gibt so viel zu tun. Festa Magdelena“ zum Beispiel beginnt mit einem Geräusch, das wie tropfendes Wasser in einer Höhle klingt, kombiniert mit dem Knistern einer Schallplatte, einem spärlichen Klavier und subtilen Perkussionsinstrumenten, dem Zusammenspiel einer volkstümlichen Melodie, einem schwermütigen Bass, der von einem flatternden Sopransaxophon begleitet wird, und setzt sich kaleidoskopisch (kaleidophonisch?) durch verschiedene andere Stile und Stimmungen fort, einschließlich quietschendem Free Jazz und glitchiger Electronica, bevor es zu dem volkstümlichen Thema zurückkehrt und ein dichtes Unisono endet. Und das ist nur der erste Track.

Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Ma Non Troppo“ zum Beispiel beginnt als vergleichsweise konventionelles Jazz-Ensemblestück, enthält aber ein komisches Zwischenspiel musikalischer Anarchie und Prestissimo-Unisono-Passagen zwischen Klavier und Daniel Erdmanns Sopransaxophon, die wie eine Riposte auf den Titel des Stücks wirken: „Nicht zu viel was? Tempo? Du meinst, langsamer als das?! Und die Vitalität und Präzision von Takases Spiel täuscht über die Tatsache hinweg, dass sie 76 (ja, sechsundsiebzig) Jahre alt ist.

Der Sinn für Spaß und Abenteuer ist großzügig über das ganze Album verstreut. In „Japanic Macrokosmos“ zum Beispiel gibt es jede Menge clevere Soundspielereien, darunter stark verarbeitete Tenorsax-Zungenschläge (möglicherweise), kosmische elektronische Pieptöne wie aus der Twilight Zone, wütendes Schlagzeugspiel, einen fast technoartigen Rhythmus aus Turntablism und perkussiven Klängen sowie Monk-ähnliche Wirbel auf Tenorsax und Klavier. Takase hat gesagt, dass Monk ein großer Einfluss ist, und das ist leicht zu glauben – obwohl Monk vielleicht wie in einem Funhouse-Spiegel gebrochen ist.

In Anbetracht von Takases Referenzen im Bereich des freien und experimentellen Jazz, die auf diesem Album und an anderen Stellen ihrer Diskografie deutlich werden, ist es etwas überraschend, dass der Abschluss eine relativ geradlinige Version eines Standards ist, der bereits 1930 veröffentlicht wurde: „I’m Confessin‘ (that I Love You)“. Es ist ein Lied, das schon dutzende Male gecovert wurde, aber angesichts von Nils Wograms Wah-Wah-Posaune und Takases monkischem Klavier und einer kurzen Einbindung von Gesangssamples, die wie eine alte 78er gekratzt und abgewetzt sind, vermute ich, dass die Interpreten, die Takase im Sinn hatte, Louis Armstrong und Monk waren. Und wenn man bedenkt, dass Takase erst in diesem Jahr ein Album mit Duetten mit dem Saxophonisten Erdmann namens Ellington veröffentlicht hat, reichen Takases Einflüsse über so ziemlich die gesamte Geschichte des Jazz.


Alles in allem kann man eine anregende, aufregende, zeitgenössische Musik erwarten, die etwa hundert Jahre Jazz und darüber hinaus umfasst. Ist es eine Musik, die sich leicht in eine Schublade stecken lässt? Nein. Sollte man sie sich anhören? Ja.



© londonjazznews, Texte: Julian Maynard-Smith, 30.6.2024

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