Thema und zugleich „Hauptdarstellerin“ des „Tractatus“ von Bernhard König ist die Orgel mit ihren höchst widersprüchlichen weltanschaulichen Konnotationen. Und „Organ Transplants“von Billy Smith & Jimmy Preston.
Die Textebene schöpft aus den unterschiedlichsten Quellen: mittelalterlichen Orgel-Legenden, Werbeprospekten für Stummfilmorgeln, Referaten eines Orgel-Fachkongresses der Hitler-Jugend, päpstlichen Erlassen zum Gebrauch der Orgel im Gottesdienst oder altarabischen Quellen über den Einsatz der Orgel als Kriegsinstrument. In der Zusammenschau dieser Texte wird die Orgel zu einer höchst schillernden Allegorie. Sie steht gleichermaßen für die gebändigte wie für die entfesselte Technik, für Zirkusspektakel und kirchliche Andacht, für die göttliche Ordnung der „Sphärenharmonie“ und für dämonische Maßlosigkeit.
Musik und Text verhalten sich in der Radiokomposition zueinander wie die verschiedenen Orgelwerke einer imaginären, überdimensionalen und raumgreifenden Orgel, in der die menschliche Stimme eines von vielen Orgelregistern ist. Als Sprecher wirkten unter anderem Mauricio Kagel und Kölns bekanntester Straßen- musiker Klaus der Geiger mit. Die Musik wurde nicht nur an verschiedenen Kirchenorgeln eingespielt, sondern auch an der Wurlitzer-Kinoorgel des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt und in der Werkstatt eines Orgelbauers.
Billy Smith & Jimmy Preston wirbeln anschließend die Orgel- Literatur von Bach bis Biosphere durcheinander. Die Tastenmonster verleiben sich aber mit erstaunlichem Appetit neues Repertoire ein. So kannte man z.B. Charles Ives’ Orchesterstück „Unanswered Question“ bislang nicht in der Fassung mit obligater Hammond-Orgel. „Organ Transplants“ collagiert Höhe-, Tief- und Orgelpunkte der jüngeren Musikgeschichte.
Redaktion: Markus Heuger
Tractatus von der hymmlischen unndt Teufflischen Organisten=kunst
von Bernhard König
Organ Transplants
von Billy Smith & Jimmy Preston
Aufnahme: WDR 2004
© WDR 3, Open Sounds, 2.1.2021