In reduzierter Besetzung große Wirkung erzielen: Der Britin gelingt mit dem Album „I Inside the Old Year Dying“ genau das. Von Karl Fluch.
Shakespeare, Gott und Elvis. Dazu ein Grundlehrgang aus der Baumschule. Irgendwelche Brüder mit Blättern oder Nadeln, die nur kennt, wer ein Waldschratt ist oder beruflich der Holzindustrie zuarbeitet. Das sind einige der Zutaten, die PJ Harvey auf ihrem neuen Album I Inside the Old Year Dying in den Häcksler wirft, bevor sie einschaltet. Es sind Sujets, die ihrem in Versform gehaltenen Roman Orlam aus dem Vorjahr entnommen sind. Klingt schrecklich? Könnte es durchaus sein, ja.
Denn diese Zurückgeworfenheit auf etwas, das gerne mit dem Ursprünglichen umschrieben wird, birgt die Gefahr, ins Esoterische und Wurzelseppige zu kippen. Oder es wirkt fremdkörperlich wie ein Städter in greller Funktionskleidung im Unterholz.
Doch PJ Harvey ist PJ Harvey, und das bedeutet einen Sonderstatus. Eine Ausnahmestellung, die die britische Musikerin mit ihren letzten beiden Alben unterstrichen hat, auf denen sie sich und ihre Perspektive neu definierte. Sie vollzog eine Wandlung. Sie verließ das leidlich strapazierte Terrain der vertonten Selbstzerfleischung. Zu oft hat sie sich ausdrucksstark auf den Altar geworfen, bereit, den hölzernen Pfahl im Herzen zu empfangen, das Opfer für einen vermeintlich höheren Zweck zu sein.
© DerStandard, Kultur, 7.7.2023