Release Tipps

Release Tipp: PITA & FRIEDL / Karlrecords

Scheinbar unvereinbares kommt hier zusammen. Oder doch nicht? „Pita“ Peter Rehberg und Reinhold Friedl erkunden zusammen die klanglichen Möglichkeiten zwischen einem Laptop und einem Flügel. Verrückt und das klingt für meine Ohren mehr als gelungen.


Als sich Editions Mego-Chef Peter Rehberg und Reinhold Friedl zum ersten Mal trafen, waren sie nicht gerade auf Augenhöhe. „Wir hatten einen sehr unterschiedlichen Hintergrund: Er kam aus der Industrie, ich hatte meine Wurzeln in der klassischen Musik und in der Improvisation, ein anspruchsvolles Arschloch“, erinnert sich Friedl im Pressetext zum Album. Sie waren sich in Tokio über den Weg gelaufen, als Friedl die Rahmenveranstaltungen für die internationale Computermusikkonferenz 2000 organisierte. Friedl verstand Rehbergs Musik nicht ganz, obwohl er ihn zu einem Auftritt eingeladen hatte, und obwohl sie sich in den folgenden Jahren immer wieder über den Weg liefen, hatten sie sich nicht viel zu sagen. Das änderte sich bei einem Konzert in Wien vor etwas mehr als zehn Jahren, als die beiden nacheinander auftraten und feststellten, dass sie mehr gemeinsam hatten, als sie angenommen hatten; einige Abendessen und lange Gespräche später waren sie feste Freunde – ein Glück, da sie nur wenige Minuten voneinander entfernt wohnten.


„Pita“ Peter Rehberg

Pita/Friedl ist das Ergebnis von zwei komplett improvisierten Sessions im letzten Jahr und wird ohne Schnitt präsentiert. Das Album wurde lediglich von Dirk Dresselhaus von Schneider TM sorgfältig abgemischt, ist aber ansonsten unangetastet und stellt ein genaues Dokument der künstlerischen Konversation des Duos dar. Jeder Track ist nach einem italienischen Wort für Geräusch benannt, und diese Leichtigkeit kennzeichnet die Zusammenarbeit; die Tracks sind in vielerlei Hinsicht ernst und musikalisch streng, aber die beiden Freunde haben eine Art, die Stimmung zu unterbrechen, und lassen ihren Sound nie zu weit in süffisante Klangkunst abdriften. Stattdessen ist es fast so, als würden sie sich gegenseitig an ihre musikalischen Grenzen stoßen. Friedls altbewährte Technik der improvisierten, experimentellen Performance auf dem Flügel passt überraschend gut zu Rehbergs eigenwilligen Laptop-Prozessen, die den schwirrenden Clustern aus Verzerrungen und hyperaktiven Synthesizer-Quietschern Tiefe und Dimensionalität verleihen.


Reinhold Friedl

Rehberg brachte 2020 Friedls Kollaboration mit Eryck Abecassis, „Animal Électrique“, auf seinem Label Editions Mego heraus, und schließlich betraten sie zweimal das Studio für Sessions, die völlig improvisiert und ohne vorherige Vorbereitung stattfanden. „Caciara“, „Chiasso“ und „Clamore“ – rückblickend benannt nach drei italienischen Wörtern für „Lärm“ – fangen die Spontaneität zweier Künstler ein, die in ihren jeweiligen Bereichen schon immer Ausreißer waren und eine gemeinsame Basis in ausufernder Dynamik und klanglicher Intensität fanden und sich gegenseitig ermöglichten, ihre individuelle Klangpalette zu erweitern. „Peter gab mir Rückendeckung“, erklärt Friedl. „Ich hatte das Gefühl, dass ich Dinge tun konnte, die ich sonst nicht spielen würde.“
Wenn es etwas gab, das sie verband, so Friedl, dann war es das Zuhören, und in diesen rund 64 Minuten kann man tatsächlich hören, wie sie einander genau zuhören, sich gegenseitig Raum geben und auf das reagieren, was der andere tut. Obwohl sie es leider nie geschafft haben, für eine geplante dritte Session zusammenzukommen, verkörpern diese Aufnahmen – die von Dirk Dresselhaus sorgfältig abgemischt wurden, aber ansonsten praktisch unangetastet sind – perfekt die Energie, die von zwei Freigeistern freigesetzt wird, die sich aus der gemeinsamen Vorliebe dafür zusammengefunden haben, die Grenzen der improvisierten Geräuschmusik auszuloten und die sensorischen Möglichkeiten dieser Musik zu erschließen. Es ist durchaus passend, dass dieser wahre Ansturm von Lärm auf die unaufdringlichste Weise endet: „Der Computer sagt Stopp“, witzelt Rehberg. „Das reicht!“ Der Rest ist Gelächter. „Pita/Friedl“ ist ein unverzichtbares Dokument einer unerwarteten Zusammenarbeit. Eine große Empfehlung.© Text: Kristoffer Cornils + Boomkat



Ein Laptop als Musikinstrument, das war eine sehr lange Zeit ein Unding und wurde verpönt. Wichtig ist aber der Mensch, der Musik machen will. Nur der Flügel allein macht noch keine Musik und auch ein Laptop ist nur ein Rechner. Der eine lernt den Flügel spielen und der andere nutzt das Laptop als Mittel, um Musik entstehen zu lassen. Beides ist legitim und zum Schluss zählt das Ergebnis: die Musik. Hier nun kommen 2 Freigeister zusammen und machen Musik. Und diese sind wirklich nicht unbedeutend. Reinhold Friedl ist Pianist, Komponist und Chef des Ensemble Zeitkratzer, das zählt weltweit zu den führenden Ensembles für neue Musik. Peter Rehberg war Gründer und Chef von Editions Mego, das sich zum wichtigsten Label für zeitgenössische elektronische Musik entwickelt hat. Hier dazu auch ein Nachruf auf Peter Rehberg von Robert Miessner von der TAZ. Das sind eigentlich genügend Gründe, um sich auf Augenhöhe zu begegnen und doch hat es lange gebraucht, bis sie so weit waren. Aber das alles könnt ihr in den oben genannten Texten nachlesen und ist eine schöne Geschichte über das Annähern, Respektieren bis hin zur Freundschaft.
Ihre Musik ist ein großer Dialog mit genug Raum und Freiheit für jeden. Ich bin beeindruckt von der Kraft, mit der Friedl im Inneren des Flügels arbeitet und wie variabel Rehberg auf diese Klangkaskaden reagieren kann. Das sollte man beim Hören bedenken, das alles passiert in Echtzeit und da muss Rehberg sehr genau wissen, wo sich alles auf seinem Laptop befindet, um so virtuos reagieren zu können, wie es hier zu hören ist.
Mir hat das Ganze beim Anhören viel Freude bereitet und ich wünsche, dass diese Musik viele Freunde im klassischen Lager der Musik wie auch in der elektronischen Musik findet. Da sind mehr Gemeinsamkeiten, als zu erwarten ist. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert