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Release Tipp: Various Artists: „Expériences Vol: 15, 16, 17“ / Art Zoyd Studios

Von Jochen Kleinhenz. Diese Dreifach-CD bietet einen Querschnitt durch die aktuellen Produktionen/Projekte aus dem Art Zoyd-Studio. Dort wandeln Komponist:innen ästhetisch auf den Pfaden der Gruppe, die neben Magma enorm prägend war, nicht nur in den 1970ern und nicht nur für den französischen Progrock.


Und so wie Art Zoyd die Düsternis zuerst quasi kammermusikalisch noch weiter verfinsterten – siehe die Titel der frühen Alben bis hin zu »Phase IV« (das Erdzeitalter, das nach dem Verschwinden der Menschheit anbricht), wobei spätestens da die elektronische oder Elektroakustische Musik Einzug hielt ins Repertoire und die kammermusikalische Anmutung etwas in den Hintergrund trat –, finden sich auch hier vornehmlich elektroakustische Kompositionen, die eher Düsternis oder Unbehagen transportieren. Dabei kann Elektroakustische Musik auch zuweilen in fast schon flauschigem Wohlklang daherkommen – bei Michel Redolfi etwa –, ist jedenfalls nicht zwingend auf Moll abonniert.

Mit weit über drei Stunden Spielzeit werden hier die Arbeiten von zwölf Komponist:innen vorgestellt, die sich offenbar ganz in der Tradition von Art Zoyd sehen, zumindest stimmungsmäßig: Nirgends gute Laune, überall dräut die Apokalypse, Dur ist verpönt, Pathos erklingt hier nicht, sondern ist die Grundierung, auf der die Stücke ausgebreitet werden. Eröffnet Christian Zanési mit »Before The Blast« noch in bester Elektroakustischer Tradition (kein Wunder: Er leitete von 2006 bis 2015 Ina GRM künstlerisch), gefolgt von Annabelle Places »Arca« (ein abwechslungsreiches Hörvergnügen, klingt wie ein guter Live-Mitschnitt eines Circuit-Bending-Konzerts), hält der rohe Lärm in Form von Harsh Noise mit Dror Feilers »The Archipelago of Noise Islands« Einzug, bevor »Bees & Drones« von Yérri-Gaspar Hummel die erste CD beschließt – das Summen der Bienen und Drohnen hier erinnert allerdings mehr an das Brummen der Fliegen über einem Kadaver, als an fleißiges Treiben (der Bienen, nicht der Drohnen!) im Bau oder an Blüten …


Yerri-Gaspar Hummel © Mark-Steffen Gowecke

Die Mischung auf der ersten CD ist also heterogen, und so geht es auch auf der zweiten weiter: Nadia Ratsimandresys »Pinte de café« klingt wieder nach Circuit Bending, Antoine Chessex‘ »Avalanche« klingt wie eine Armada von Bombern, die über der Stadt kreisen, ohne Bomben abzuwerfen. Lichtblick für mich ist Barbara Dangs »Hypostasis«, dessen Klänge entfernt an präpariertes Klavier erinnern, elektroakustisch verfremdet, bevor Raphaël Ortis mit »C’est déjà arrivera« (klanglich eine Mischung aus Gong und Drones) die CD beschließt.


Barbara Dang © Remi De Gaalon

Bleibt noch CD 3 – kommt da noch was anderes? »The low of the refraction and an orange glow illuminates the sky of the city« von Gerard Lebik liefert nicht nur den längsten Titel, sondern auch das langatmigste Stück: Frequenzen wandern in Bündeln auf und ab, überlappen, Orgeltöne werden erkennbar. Doch gleich geht es weiter mit »Chilli and bonbon in Chililabombwe« von Brice Catherin: Wieder klingt es nach Circuit Bending, dazu kommen Kratzgeräusche (eines Bogens?) und möglicherweise Wellensalat aus dem Radio. Mirtru Escalona-Mijares bietet mit »La sierpe alada del sueno« hier die echte Abwechslung, Stimmen und/oder Chor sind als Ausgangsmaterial erkennbar, trotzdem wirkt der auf- und absteigende Spannungsbogen … wenig spannend, sondern unfokussiert, teilweise kippt das Ganze scheinbar willkürlich in Kakophonie ab. Für einen halbwegs ruhigen Schlusspunkt sorgt »Cremator Opera v2« von Julien Ottavi – klingt wie field recordings, in einer Röhre gemacht …


Annabelle Playe © Quentin Chevrier

Die vorangegangenen Sätze mögen durchaus Ausweis sein einer gewissen Ratlosigkeit des Rezensenten: Kommt so ein Klangpaket ohne übergreifendes (inhaltliches, ästhetisches) Thema daher, als reine Werkschau à la »das haben wir die letzten Monate so gemacht in unserem Studio«, wird es schwer, objektive Parameter anzusetzen. Überhaupt: Elektronische und Elektroakustische Musik bewegen sich einerseits so weit weg von der kanonisierten Musiktheorie (Melodie und Rhythmus scheinen hier grundsätzlich verpönt), bauen andererseits so sehr auf physikalischen oder mathematischen Phänomenen auf (Frequenzbündel, Mikrotonalität etc.), dass gewöhnliche Hörer:innen hier nur emotional reagieren können: Gefällt mir, gefällt mir nicht … und so schließe ich recht banal mit der Feststellung: Wer Elektronische und Elektroakustische Musik schon für sich entdeckt hat, durch Veröffentlichungen von Labels wie Ina GRM (oder den Wiederveröffentlichungen aur Recollction GRM), GMVL, Metamkine oder Empreintes Digitales, wird hier wenig Neues entdecken und vermutlich Besseres bereits im Schrank stehen haben. Wer einsteigen möchte und dabei auch gleich Harsh Noise (im Stile von New Blockaders, Merzbow, Organum etc.) mitabdecken, bekommt hier ein preiswertes Schnupperangebot (auf der label-Website wird diese Dreifach-CD für € 20 angeboten), das allerdings bei so gut wie keinem Track restlos zu überzeugen weiß.




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