Nach lesen …
Von Alexander Krex
Wie misst man Leidenschaft: An der Zeit, die ein Mensch einer Sache widmet? An der Beschleunigung des Herzschlags? An der Ausschüttung von Endorphinen? Alles richtig. Aber Leidenschaft, und das hat sie mit dem Teufel gemein, steckt immer auch im Detail.
In diesem Fall, es soll hier nämlich um die Leidenschaft einer bestimmten Person gehen, steckt sie in einem Fitzelchen Papier, kleiner als ein Fingernagel. Immer wenn Karsten Rodemann einen Film verleiht und der Kunde seine Zehnerkarte aus dem Portemonnaie zieht, stanzt Rodemann ein Loch hinein. Er tut das aber nicht einfach so, er sucht eine passende Stanze aus. Film und Motiv müssen passen, das ist wichtig.
„Das Schloss nehme ich für Märchen, es kann aber auch eine Kirche darstellen für Filme mit klerikalem Inhalt. Manchmal steht es auch für die Wall Street, also für New York und ich benutze es für alle Filme des Subgenres Home Invasion. Den Knochen stanze ich bei Krimis oder Kampfsportfilmen. Der Helikopter ist Action, klar, und bei der SerieHomeland gibt’s auch mal den Schirm, wegen des militärischen Abschirmdiensts.“
Karsten Rodemann ist Videothekar, er ist 50 Jahre alt und hat die meiste Zeit seines Lebens Hawaiihemden getragen. Man tritt ihm sicher nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er in diesem Sommer noch nicht viel Sonne abbekommen hat. Sein Laden heißt Videodrom, er liegt in Berlin Kreuzberg, in einer für diese Stadt auffällig abschüssigen Straße mit Kopfsteinpflaster. An einem Sonntagabend steht er dort hinter der Theke. In dieser Geschichte soll er aber auch für all die anderen Videothekare stehen, die dafür sorgen, dass in diesem Land ein paar romantische Komödien weniger geschaut werden und ein paar gute Filme mehr. Denn es geht ihnen nicht gut….
© Die Zeit, 22. Juni 2016 Foto: Alexander Krex