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SZ Jazzkolumne: „Glaubenskriege“ Purismus oder Barock?

 Jazzgitarristen wie Julian Lage und Pat Metheny sind Vertreter der jeweils reinen Schule. Es gab im Jazz immer wieder mal Glaubenskriege, gegen die die Streitereien zwischen Beatles- und Stones-Fans wie reinstes Geplänkel wirkte. Von Andrian Kreye.

Sollte man das Saxofon eher im Geiste von John Coltrane verstehen oder in dem von Sonny Rollins? War Dizzy Gillespie an der Trompete auf dem Pfad der Wahrheit, oder doch erst Miles Davis? Derzeit tut sich bei den Jazzgitarristen eine ähnliche Kluft auf. Das derzeit dominante Ideal ist eine fast schon mönchische Klarheit, bei Wolfgang Muthspiel etwa, bei John Scofield und vor allem bei Julian Lage, dessen Spiel viele für den Goldstandard der Gegenwart halten.

Der Kalifornier hat seinen Klang auf ein so pures Minimum gebracht, dass man immer den Eindruck hat, er hätte selbst die natürlichen Verzerrungen der elektrischen Gitarre weggeschliffen. Lange spielte er eine Fender Telecaster, mit der Rockgitarristen wie Keith Richards, Bruce Springsteen oder Jimmy Page im Klangbild klarmachten, dass alles, was sie tun, nur eine Variation von Muddy Waters ist. Inzwischen spielt er eine Sonderanfertigung, die ihm die Firma Collings aus Zentraltexas gebaut hat und die schon optisch wirkt, als seien die letzten siebzig Jahre Musikgeschichte spurlos an ihr vorübergegangen. So klingt das dann auch. Rein und pur und letztlich ist so ein musikalischer Protestantismus ähnlich kraftmeierisch, wie die Materialschlachten und Klangwolken so vieler Gitarristen. Bar jeden Schmuckwerkes kann Lage sein ganzes Charisma als Musiker strahlen lassen, das ihn ohne Frage einzigartig macht.



© Süddeutsche Zeitung, Jazzkolumne, 20.9.2021

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