„Verlorene Landschaften“ Wie demokratiefeindlich ist der Osten? Von Thomas Klug

Viele Wünsche der DDR-Bürger von 1989 sind in Erfüllung gegangen: Die Welt steht ihnen offen, sie dürfen demonstrieren und frei wählen. Doch manche Ostdeutsche glauben, es sei heute genauso wie früher in der Diktatur. Was ist da schiefgegangen?

Plötzlich tauchen merkwürdige Orte auf: Eeerfurt und Maagdeburg. Die Einwohner glaubten bisher, in Erfurt oder Magdeburg zu leben. Und dann die „ehemalige DDR“, aus der man angeblich stamme. Was soll das sein? Bis 1990 war die DDR sehr real. Und danach war sie Geschichte.

Bis heute gibt es seltsame Fragen: Ach, Sie stammen aus der ehemaligen DDR? Sogar Millenials aus Suhl, Hoyerswerda oder Greifswald müssen sich das fragen lassen: „Ehemalig“ – das ist ein Land, das es nicht gibt.

Es gab einmal ein Land, das sich die Deutsche Demokratische Republik nannte. Von dieser ungesunden Selbstverklärung sind die drei Buchstaben DDR zurückgeblieben. Das untergegangene Land scheint als „ehemalige DDR“, wahlweise „Ex-DDR“ weiterzuleben. Und dort scheint es ein Problem zu geben. Eine gängige Diagnose dafür lautet: mangelnde Demokratietauglichkeit. Wirklich? Dort wo in demokratiefeindlicher Umgebung jede Woche Menschen für ein freies Land demonstrierten und dafür ins Gefängnis gingen?


„Es gibt in Deutschland immer die Neigung, die Ostdeutschen nur im Spiegel der Normalität zu sehen oder zu interpretieren. Warum ist eigentlich der Westen immer die Referenzgesellschaft? Wenn man sich davon ablöst, dann findet man auch eine ganze Menge Normalität in Ostdeutschland. So viel Normalität wie in anderen mittel- oder osteuropäischen Gesellschaften auch, die zum Teil auch mit bestimmten liberalen Prinzipien der Demokratie hadern.“

Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin



© Deutschlandfunk, Zeitfragen, 30.8.2021

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