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„zwettls traum?“ die nibelungenfragmentfunde der frau dr. ziegler. Feature von Michael Lissek

Schriftzeichen auf einem alten Pergament. Sie erzählen – vielleicht – von der Nibelungensage. Wer kann sie entziffern. Wer darf sie entziffern? Ein Feature über Medienaufmerksamkeit, Deutungshoheit und Wissenschaftsbetrieb.

Im März 2003 meldeten die Medien einen sensationellen Fund aus der Stiftsbibliothek Zwettl: Die Archivarin Dr. Charlotte Ziegler habe in einer Pappschachtel zehn fingerbreite Pergamentfragmente gefunden, die sie als bisher ältesten bekannten Nibelungenstoff entziffere. Das Echo war enorm: Alle großen Zeitungsfeuilletons, Radio- und Fernsehsender berichteten. Doch gleichzeitig mit der Verbreitung der Sensation wurden kritische Stimmen laut, vorzugsweise aus den Kreisen der Philologen. Frau Ziegler beherrsche das Mittelhochdeutsche gar nicht, ihre Lesarten seien haarsträubend. Frau Ziegler fehle das paläographische Handwerkszeug, und die Datierung als älteste bekannte Funde sei nicht haltbar – und darum solle Frau Ziegler so schnell wie möglich die betreffenden Funde berufenen Kapazitäten zur Sichtung und Transkription übergeben. Frau Ziegler tat nichts von alledem. Bis heute beharrt sie auf ihren Einschätzungen, und sie hat noch eine weitere Sensation parat … Eine Sendung über Pressehysterie, den Kampf zwischen Laien und Professoren und die Anwendung der paranoisch-kritischen Methode in den Wissenschaften.





zwettls traum?
die nibelungenfragmentfunde der frau dr. ziegler.
oder: sehen Sie nichts?
Von Michael Lissek
ORF/rbb 2004

© Deutschlandfunk, Feature, 28.8.2021

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