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70/80 Ritual Musik Theater (4/5): Harrison Birtwistles „Mask of Orpheus“

Die zu Ende gehenden 1970er-Jahre: die Technokratie der Musik durch die serielle Methode in der Sackgasse, die utopischen Hoffnungen der elektronischen Musik unerfüllt, der Zufall zur postmodernen Beliebigkeit verfallend.

Von Bernd Künzig

Aus diesem Dilemma suchen so unterschiedliche Komponisten wie Wolfgang Rihm, Olivier Messiaen, Luigi Nono, Harrison Birtwistle und Per Nørgård einen Ausweg. Völlig unabhängig voneinander suchen sie zeitgleich die musikalische Authentizität in der Verbindung von Ritual, Musik und Theater. Es ist der unterbewusste Link höchst unterschiedlicher Konzeptionen, die alle Ausdruck einer musikalischen Zeitenwende sind.

Rituale haben im Werk des Engländers Harrison Birtwistle von Anbeginn an eine große Rolle gespielt, sei es in Werken für den Konzertsaal oder die Bühne. Der Ursprung des griechischen Theaters als Ritus der Dionysien war schon in Ensemblestücken wie „Secret Theatre“ oder „Verses“ zur geradezu strukturalistischen Auseinandersetzung geworden. Weiter ist er aber nie gegangen als in „The Mask of Orpheus“, an der er zwischen 1973 und 1984 arbeitete. Der „Orpheus“-Mythos ist in diesem Musiktheater zwar vorhanden, aber nicht als lineare Erzählung. Selbst der Harfenklang des Musikers wird in der elektronischen Zuspielung in die klingende Natur überführt. Die Jahreszeiten strukturieren dieses musikalische Ritual ebenso, wie die 17 symbolischen Brücken der Unterwelt, die Orpheus immer wieder überschreiten muss. Das Maskentheater der Antike und der Renaissance finden in einem Theaterritual zusammen, bei dem der Titel wörtlich zu nehmen ist: es ist die Darstellung der Maske des Orpheus, die Werkzeug des Rituals ist.

© SWR 2, JetztMusik, 24.6.2019

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