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Essay: Opfer – Eine Sozialfigur der Moderne

Die Historikerin Svenja Goltermann im Gespräch mit Thorsten Jantschek. Wo Gewalt sich entlädt, entsteht Leiden. Wie werden Leidtragende zu Opfern? Wer darf Opfer sein und was dürfen Opfer von der Gesellschaft, in der sie leben, erwarten? Die Antworten auf diese Fragen betreffen zentrale Anerkennungsprobleme unserer Zeit.

Gerade in Zeiten aufflammender Kriege und terroristischer Übergriffe wird die Kategorie des Opfers zu einer eminent politischen Größe. Mit der Anerkennung als Opfer, dem Status, Opfer zu sein, ist zumeist auch ein Anspruch zum Beispiel auf Entschädigung verbunden oder wird eingefordert. Wie aber, wenn nicht nur Opferhierarchien in Kriegen zwischen Kriegsteilnehmern und Zivilisten, Angreifenden und Verteidigenden, Schuldigen und Unschuldigen gebildet werden, sondern auch von „Opfern des Kapitalismus“ oder abstrakter des „Systems“ gesprochen wird? Schnell erweist sich, dass der Begriff des Opfers selbst in den Kämpfen um die Deutungshoheit eine genuin folgenreiche Beschreibung einer Sozialfigur der Moderne wird.
Svenja Goltermann lehrt Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich. Sie forscht und publiziert zur Geschichte des internationalen Humanismus und unter anderem zu historischen Gewalterfahrungen. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft“ sowie des renommierten Online Magazins „Geschichte der Gegenwart“. Ausgezeichnet wurde sie unter anderem mit dem „Wedekindpreis für deutsche Geschichte“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.



© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 7.4.2024

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