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Essay: „Politik des Misstrauens“ Zur Logik eines gesellschaftlichen Gefühls

Von Solmaz Khorsand. Präventivmaßnahmen gegen autoritäre Umtriebe, Untersuchungsausschüsse, parlamentarische Anfragen: Eine gute Portion Misstrauen steckt in jeder Demokratie. Doch auch die etablierten Parteien werden derzeit stark infrage gestellt.

„Jede (gute) Verfassung“, hat der Staatstheoretiker Benjamin Constant einmal gesagt, „ist ein Akt des Misstrauens.“ Misstrauen zählt – auf diese Weise betrachtet – zum Fundament einer liberalen, demokratischen Grundordnung. Es stärkt und bewahrt die Demokratie, die zwar Vertrauen braucht, sich aber Formen und parlamentarische Praktiken gegeben hat, etwa Untersuchungsausschüsse oder kleine Anfragen, die von einem gesunden Misstrauen zeugen.

Seinen Ausdruck findet das Misstrauen in den ausformulierten Verfassungen, in denen diverse Präventivmaßnahmen gegen autoritäre Umtriebe eingebaut wurden. Allein die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist als solche zu erachten. Sie soll den Souverän vor der möglichen Übergriffigkeit eines Staates und diktatorischen Herrschaftsgelüsten schützen.

Wie wenig Misstrauen es allerdings gegenüber jenen Parteien gibt, die gestärkt aus der Europawahl hervorgegangen sind, obwohl sie ein problematisches Menschenbild haben und von der Demokratie wenig halten, ist erstaunlich. Längst lässt sich das Erstarken der Rechten nicht mehr als Protestwahlverhalten abtun. Vielleicht bedarf es einer neuen Schule des Misstrauens.

Der vorliegende Essay ist ein Auszug der Festschrift zu dem österreichischen Ideenfestival „Tage der Transformation“, das im Oktober 2024 stattfindet.



Solmaz Khorsand ist Journalistin, Buchautorin und Podcasterin. Sie hat u.a. für Die Zeit, derstandard.at, die Wiener Zeitung und das Magazin Republik gearbeitet. 2021 erschien ihr Buch „Pathos“, 2024 ihr aktuelles Buch „untertan. Von braven und rebellischen Lemmingen“.

© Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 22.9.2024

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